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Samstag, 14. August 2010
Is a book

Moritz Rinke: Der Mann, der durch das Jahrhundert fiel

Der Roman beginnt so:
Seine Kindheit, das hatte die Baufirma Brüning auch gar nicht mehr zu beschönigen versucht, würde in der Mitte auseinanderbrechen, eher früher als später, in zwei Teile.
Der Westflügel, in dem er mit seiner Mutter und ihrer übermächtigen Liebe groß geworden war, mit seinem Großvater, dem Bildhauer, den man den Rodin des Nordens nannte, sowie seiner Großmutter, die jeden Tag norddeutschen Butterkuchen backte – dieser Westflügel des Hauses würde zuerst absacken und im Teufelsmoor untergehen. Dabei würde sich der Ostflügel, in dem der Rest der Familie gelebt hatte, gleichzeitig in die Höhe heben, bis das ganze Haus in der Mitte in zwei Stücke breche. Und dann würde der Ostflügel zurück in den Schlamm fallen und vermutlich früher oder später auch dieser Teil der Familie Kück herabsinken – mit seinen sommersprossigen Johans, den blauäugigen Hinrichs, den Milchkühen und Mördern, dem Schnaps und dem schönen, strohblonden Bauernmodell Marie, das noch heute auf dem Bild eines alten Worpsweders wie ein Gespenst erschien.

Von der einst unübersichtlich großen Familie sind nicht mehr viele übrig; Paul lebt in Berlin und versucht erfolglos, eine Galerie zu etablieren, seine Mutter lebt auf Lanzarote, gibt dort Bewusstseinsseminare und schickt ihm ständig Salat mit der Post, damit er in der vitaminlosen Großstadt etwas Gesundes zu essen bekommt, und im riesigen alten Bauernhaus in Worpswede lebt nur noch Nullkück, der ein bisschen zurückgeblieben ist. Jetzt sackt das Haus ab, und Paul muss hin und sich darum kümmern, dass es neu gegründet wird. Wände einreißen, tief bohren, Beton reingießen.
Eine Reise zurück in die Vergangenheit also, mit reichlich Rückblicken und Erinnerungen, und Moritz Rinke schöpft aus dem Vollen: Nullkück wirft in seiner Jugend vom fahrenden Trecker Liebesbriefe ab, ein veritables Duell geht schief, ein zurückgewiesener Liebhaber klaut den Güllewagen der Nachbarn, die schöne Marie wurde von der Gestapo abgeholt, weil sie Kommunistin war (heißt es), die unfruchtbare Hilde bekommt doch noch ein Kind, außerdem geben sich Willy Brandt und Rainer Maria Rilke bei den Kücks quasi die Klinke in die Hand (das mit Willy Brandt ist durch ein von ihm angebissenes Stück Butterkuchen im Tiefkühler belegt, von Rilke gibt es einen Topf), einer geht nur bei Regen in den Puff und trinkt dort Fencheltee, und bei den Grabungen ums Haus wird Erstaunliches ausgebuddelt, während gleichzeitig die lebensgroßen Bronze-Skulpturen berühmter Männer, die der Großvater angefertigt hat, im Moor versinken. Und alles andere ist auch nicht unbedingt so, wie es aussieht.
Was für ein Buch! Da wird nicht gekleckert, da wird geklotzt und mit Material geprasst, das einem anderen womöglich für vier Romane gereicht hätte. Nichts ist zu grotesk, man muss anfangs oft lachen, und später, man ahnt es schon, ist das natürlich alles gar nicht witzig. Und erfreulicherweise ist am Ende auch nicht alles geklärt. Ich bin jetzt jedenfalls offiziell in Moritz Rinke verliebt und verzeihe ihm sogar ein paar fehlende Genitive und dies und das. Und ich will jetzt unbedingt mal nach Worpswede. Himmel gucken und so. Und mal nachsehen, was tatsächlich vor der großen Kunstschau steht. Und was drinhängt. Lest dieses Buch! Toll, toll, toll.
Danke an Annerose Beurich von stories! für die Empfehlung und für den Satz „man wünscht sich beim Lesen dauernd, dass Detlev Buck das verfilmt“, denn genau so ist es. Und Buck selbst soll den Nullkück spielen.
Moritz Rinke wohnt im Regal zwischen Monika Rinck und Meg Rossoff.

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Last modified: 09.12.13, 22:30
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Kommentare
Anderthalbfache Unterstützung!
Christl Klein, vor 11 Jahren
Hm, Tempers Kommentar ist ja
schon von 2008 - ich schätze eher nicht, dass...
isabo, vor 12 Jahren
Zettel's Ingo Maurer Hallo,
ich habe Ihren Beitrag zur Zettel's-Lampe gefunden. Da ich sie gerne...
Christiane Thomaßen, vor 12 Jahren
das ist ein hobby
von mir. antizyklisches kommentieren ;)
fabe, vor 12 Jahren
Das hier ist ja
schon eine Weile her. Hihi.
isabo, vor 12 Jahren
hier war ja neulich
stromausfall. menschen sind merkwürdig.
fabe, vor 12 Jahren
endlich endlich setzt jemand ein
Zeichen gegen das ständige Aussterben schöner Wörter! Da bin ich...
federfee, vor 12 Jahren
Lassen Sie doch vielleicht mal
Ihr Assoziationsmodul überprüfen, das spielt ja geradezu verrückt. Das...
isabo, vor 13 Jahren
Oh, vielen Dank!
isabo, vor 13 Jahren
grosses Lob Liebe Isabo,
bin ueber Meike auf Dich gestossen und finde Deine Texte ganz...
LvO, vor 13 Jahren
Der Verein lebe hoch, anderthalb
mal hoch Bin dabei.
Jolen, vor 13 Jahren
Da spricht mir wer aus
der Seele. Ich gebe mir auch schon seit Jahren...
Cuguron, vor 13 Jahren
Ha, wir haben auch nur
Fangen (hieß einfach "fanga") ohne so ein Hintertürchen gespielt....
Irene, vor 13 Jahren
Meiner hat mir nur von
dem Smiley auf seiner Krone erzählt. Und ob ich...
strandfynd, vor 13 Jahren
Bin gerade erst über das
Interview gestolpert - für mich als Auch-Japanisch-Übersetzerin doppelt und...
frenja, vor 14 Jahren
Beide haben Fahnenmasten, der linke
und der rechte Nachbar. Und beide haben die Deutschlandfahnen...
croco, vor 14 Jahren
das hier geht woanders
nicht besser, aber versuch macht kluch...
don papp, vor 14 Jahren
Ja. Ich habe aber erstens
Schimpfe bekommen für dieses wunderschöne, kühle, coole, elegante, heißgeliebte...
isabo, vor 14 Jahren
Sie wissen aber schon,
dass das hier schöner ausschaut?
leavesleft, vor 14 Jahren
Gute Entscheidung. Trennung in beruflich
und privat ist unpraktisch (für alle Beteiligten) und wenig...
textundblog, vor 14 Jahren
Jo. Dann.
isabo, vor 14 Jahren
Möchten Sie es wissen?
kinomu, vor 14 Jahren
alles gute und auf nach
drüben!
skizzenblog, vor 14 Jahren
ja ja ja!!! ES geht
es geht es geht!!! (aber halt ohne Editieren, wurscht!)...
g a g a, vor 14 Jahren
Ich GLAUBE, ich habe
das Captcha- Dings jetzt weggemacht. Kannst Du es nochmal veruschen?
isabo, vor 14 Jahren

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