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Dienstag, 24. Mai 2005
Kunst

Immer wieder ernte ich erstaunte Blicke, wenn ich beispielsweise das Urheberrecht erwähne, oder dass ich über die Künstlersozialkasse versichert bin. Wieso Urheberin? Der Urheber meiner Übersetzungen sei doch der Originalautor? Und ob ich mich denn als Künstlerin sehe?
Also. Urheberin bin ich per definitionem und qua Gesetz. Der Originalautor natürlich auch, aber das Urheberrecht an literarischen Übersetzungen, also am deutschen Text, liegt beim Übersetzer. Die Ausschüttungen der VG Wort gehen zum Teil an den Originalautor (sofern er dort "Wahrnehmungsberechtigter" ist), zum Teil an den Verlag (glaube ich) und zum Teil an den Übersetzer. Und ich fühle mich auch als Urheberin, ich bin beleidigt, wenn eine meiner Übersetzungen zitiert wird, ohne dass mein Name druntersteht, und manchmal sogar, wenn ein Buch von mir gelobt wird und ich nicht mit. Und meine Bücher sind "meine Bücher".
Aber Künstlerin? Nun ja, nahe liegende Antwort: Kunsthandwerkerin vielleicht. Vieles am Übersetzen ist Handwerk, das kann man lernen, und ebenso viel ist Kunst. Aber ich bin nicht kreativ. Ich kann nicht schreiben, im Sinne von: mir etwas ausdenken, eine Geschichte erzählen, Stimmungen schaffen, kluge Gedanken entwickeln. Das Bedürfnis hatte ich auch nie - es ist nicht so, dass da irgendwas aus mir raussprudeln würde und ich nur mit dem Ergebnis nicht zufrieden wäre. Für meine Kunst brauche ich ein festes Gerüst, an dem ich mich entlanghangeln kann. Ich kann einen englischen Text ins Deutsche bringen, adäquat, hoffe ich, und ich kann klassische Gedichte umschreiben, aber ohne eine solche Vorlage kommt da nichts. Das ist kein Gejammer, ich bin sehr zufrieden damit. Viele gute Autoren sind lausige Übersetzer, weil sie viel zu sehr mit ihrer eigenen Stimme sprechen und nicht in der Lage sind, hinter den Autor zurückzutreten und dessen Stil angemessen zu übertragen. Vielleicht ist das die Kunst an meiner Kunst, und dieser Teil fällt mir gar nicht schwer; im Gegenteil, ich bin dankbar dafür, dass der Autor mir etwas vorgibt, womit ich arbeiten kann.

Nachdem ich mich im Fernsehen immer mal wieder, von Folge zu Folge, über die Synchronisation von "24" aufgeregt habe, wollte ich mir selbst endlich die Frage beantworten, ob das Übersetzen denn wirklich so schwer sein kann. Also versuchte ich, das erste Kapitel eines nicht auf deutsch erschienenen Romans zu übersetzen und hui, da hatte ich meine Antwort.
Die Anerkennung der Übersetzer, seien sie nun Künstler oder Kunsthandwerker, wird gerechter- und überfälligerweise immer größer. In Chicago gibt es seit 1996 einen mittlerweile sehr begehrten Übersetzerpreis, allerdings für ins Englische übertragene deutsche Literatur.
Gutes Übersetzen ist der Hammer. Ich stelle mir das sehr schön vor, wenn man das kann. Übersetzen gehört auf die lange Liste von Dingen, die ich gerne können würde.

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Zitat aus einer Pooh's Corner von '91 des von mir sehr, von Ihnen, verehrte isabo, scheinbar weniger geliebten Harry Rowohlt:

... (Gespräch zwischen Brigitte Schneider und Harry Rowohlt, sie:) "Ist Dir aufgefallen, daß ich mich nicht als Übersetzerin, sondern als Dolmetscherin vorgestellt habe? Übersetzen ist nämlich Kunst."
"Genau", sage ich geschmeichelt. "Und dauert".

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Aber wo ist da die Grenze? Wie schöpferisch muss man sein, um als Künstler zu gelten? Es gibt Dichter, die Texte anderer verwenden und ändern oder in einen anderen Zusammenhang stellen. Ähnliches passiert auch in der bildenden Kunst. Denen spricht niemand den Künstlerrang ab. Ein Musiker, der nicht selbst komponiert, ist auch ein Künstler. Vielleicht ist das literarische Übersetzen eher eine "darstellende" Kunst?

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Ein Musiker, der nicht selbst komponiert, textet oder improvisiert, ist m.E. ein Interpret, kein Künstler. Leider haftet dem "Interpreten" ein leicht muffiger Geruch von 60er-Jahre-Schlagersendungen an. Gibt's ein besseres deutsches Wort?

Mit der inflationären (Selbst-) Beweihräucherung jedes Casting-Strichers als "Künstler" geht sprachliche Vielfalt und Genauigkeit im Ausdruck verloren. Vermutlich handelt es sich um einen verdeckten Anglizismus ("the artist formerly known as ...").

Mal ganz abgesehen davon, daß ich keinen ernstzunehmenden Musiker kenne, der sich als Künstler bezeichnet. Sondern schlicht als Musiker, Sänger, Gitarristen, etc.

"Darstellende Kunst" - Übersetzen als Wortfindungsperformance (Enter isabo, translator, of the house of Capulet, with dictionary and thesaurus - so etwa?)

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Uff, da habe ich ja was angerichtet - ich wollte gar keine Grundsatzdiskussion darüber lostreten, was Kunst ist, und ob das Übersetzen eine ist. Und übrigens wollte ich auch keineswegs behaupten, Übersetzen sei keine Kunst. Vielleicht kann jeder für sich selbst entscheiden, ob "Kunst" sich für ihn durch eine eigenständige schöpferische Leistung definiert oder nicht.

Der Vergleich mit dem Musiker ist gut. Neulich habe ich einen interessanten Vortrag gehört, in dem das Übersetzen mit der Schauspielerei verglichen wurde, das fand ich auch sehr plausibel: der Schauspieler verleiht dem feststehenden Text eines Autors ebenso wie der Übersetzer seine Stimme - dafür muss er ihn erstmal verstanden haben, ihn interpretieren, sich überlegen, was wie gemeint sein könnte, was er deswegen wie betont etc; wenn er ein schlechter Schauspieler ist, kann er den Text mit seiner Interpretation kaputtmachen, wenn er gut ist, kann er sogar aus einer mittelmäßigen Vorlage etwas Interessantes gestalten. Er kann die Aussage eines Texts im Extremfall sogar komplett verändern, ohne direkt in den Wortlaut einzugreifen.
Ja, vielleicht ist Übersetzen so etwas wie eine darstellende Kunst. Obwohl es manchmal durchaus kreativ ist - dann aber auf der Ebene einzelner Worte und Sätze, eher nicht als ganzer Text.

@wasweissich: Übersetzerpreise gibt es in Deutschland auch zuhauf, nur werden die nicht lautstark in den Feuilletons gefeiert, sondern eher irgendwo am Rande notiert.

@therealstief: Ich hab gar nichts gegen Harry Rowohlt. Ich kenne den Mann doch gar nicht! Seine Kolumnen fand ich lustig, als ich sie vor Ewigkeiten mal gelesen habe. Die Übersetzungen habe ich nicht gelesen, nur hier und da mal reingeguckt - es hat mich nicht spontan von Hocker gerissen, aber so what.
(Wie kommen Sie eigentlich darauf?)

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Mir war so, als hätten Sie (sinngemäß) vor gar nicht allzu langer Zeit darüber (im Zusammenhang mit Kochbüchern, assoziiere ich eigenartigerweise) geblogt, daß Übersetzer nicht genug Anerkennung mit ihrer Arbeit fänden - mit Ausnahme von eben Harry Rowohlt. Da vermeinte ich, eine winzige Spur Unverständnis/Neid/Majestätsbeleidigung herauszuschmecken. Was natürlich, objektiv betrachtet, Quatsch mit Soße ist, aber wenn man etwas/jemanden sehr mag, betrachtet man Nicht-Mitschwärmen leicht als Hochverrat.

Meiner Meinung nach meisterhafte Übersetzungen von H. Rowohlt sind: "Die grüne Wolke", die Crumb-Comics, "Der Wind in den Weiden", "Pu", "Die Asche meiner Mutter"; dagegen kann ich mit "Auf Schwimmen-Zwei-Vögel" nicht viel anfangen, was aber wahrscheinlich nicht an der Übersetzung liegt.

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Jahaa, Pu, wie konnte ich den vergessen! Pu habe ich als Hörbuch, von Harry Rowohlt gelesen, das ist natürlich ganz großes Tennis. Für den Satz "Heute ist ein guter Tag zum Sachen Machen" hätte ich ihn schon küssen können.
Hihi, das mit den Kochbüchern war was ganz Anderes, Harry R. habe ich nur im alten Blog mal erwähnt. Dass ich da vielleicht ein bisschen schnippisch rüberkomme, liegt vielleicht daran, dass mir diese Prominenz eines einzigen Übersetzers suspekt ist - da drängt sich doch der Verdacht auf, dass diese Prominenz nicht allein der Genialität seiner Übersetzungen zu verdanken ist, sondern mindestens ebensosehr damit zusammenhängt, dass er lustige Kolumnen schreibt, lustig aussieht, lustige Lesungen macht und eine lustige Rolle in der Lindenstraße spielt. Das meine ich nicht als Vorwurf an Herrn Rowohlt - aber es gibt da draußen eine ganze Reihe hervorragender Übersetzer, deren Namen kein Schwein kennt, und das hat nichts damit zu tun, dass dieser eine Kollege bessere Arbeit liefern würde als die anderen. Er vermarktet sich nur besser.
Und ja, da sehen Sie nicht nur eine winzige Spur Unverständnis, sondern eine breite Wand davon: warum um alles in der Welt machen die Verlage keine Werbung mit ihren guten Übersetzern? (Die Antwort liegt leider auf der Hand: weil die Übersetzer dann mehr Geld wollen würden.)

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Butter bei die Fische: Wie heißen die Koryphäen?

Zum Einstieg vieleicht 'mal ein paar besonders gelungene Übersetzungen aus dem Japanischen, Englisch lese ich gottseidank/leider gut genug, so daß ich da für Übersetzungen im allgemeinen verloren bin.

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Möglicherweise ist der Helen-und-Kurt-Wolff-Preis nur etwas Besonderes wegen der Übersetzung deutscher Werke ins Englische.
Ich habe mal gehört, dass die Bücher von Isabel Allende auf Spanisch ziemlich schlecht sein sollen und Allende nirgendwo so viel gelesen wird wie in Deutschland - und das soll alles angeblich an der guten deutschen Übersetzung liegen. Stimmt das? Oder ist das nur eine Urban Legend?

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Im alten Blog schrieb ich mal, dass ich zwar immer wieder etwas über die Bücher schreiben werde, die ich so lese, aber nichts über die Übersetzung sagen möchte. Weil ich keine Kollegenschelte betreiben möchte, und, nun ja, weil ich eben Kollegin bin. Irgendwie hätte ich ein ähnlich ungutes Gefühl, wenn ich jetzt hier eine Liste der Koryphäen reinsetzen würde. Ich kann nicht genau sagen, warum mir das komisch vorkäme, so ist es einfach.
Regeln, Ausnahmen. Eine Hymne auf einen Kollegen ist angekündigt und kommt demnächst, und das wird es sicher auch immer wieder geben, wenn mich etwas richtig beeindruckt.

Zu Allende kann ich nichts sagen - ich habe ein entsetzlich schlechtes Gedächtnis, aber mir ist so, als hätte ich das auch schon mal gehört. Sie ist jedenfalls nicht immer von derselben Kollegin übersetzt worden. Jochen?

Jedenfalls gibt es da draußen nicht nur gute und schlechte Übersetzer, sondern auch gute und schlechte Autoren, und in vielen Fällen sind tatsächlich die Übersetzungen besser als die Originale. Zumindest sprachlich - an der Geschichte, dem Aufbau, den Figuren etc. kann man ja nicht viel machen.

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Raymond Carver zum Beispiel, da gibt es zwei Übersetzungen und die alte (Name entfallen, vom Piper-Verlag jedenfalls) ist sehr viel eindringlicher als die von Frielinghaus, was mich ziemlich irritiert: Wie, um Himmels willen, kann man bei einer so entschlackten, völlig schmucklosen Prosa wie der Carvers überhaupt noch Unterschiede herausarbeiten, die so beträchtlich sind, dass man glaubt, die Handschrift des Übersetzers herauszulesen? Wie geht sowas?

Oder Kurt Vonnegut: Da wurde ja nahezu jedes Buch von jemand anderem übersetzt, und die von Harry Rowohlt übersetzten sind weiß Gott nicht die besten. Da fragt man sich, woran es liegt - hatte der Kurt eine schlechte Zeit beim Schreiben oder der Harry keine Lust zum Übersetzen?

Ganz spannendes Thema jedenfalls.

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Last modified: 09.12.13, 22:30
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Kommentare
Anderthalbfache Unterstützung!
Christl Klein, vor 11 Jahren
Hm, Tempers Kommentar ist ja
schon von 2008 - ich schätze eher nicht, dass...
isabo, vor 12 Jahren
Zettel's Ingo Maurer Hallo,
ich habe Ihren Beitrag zur Zettel's-Lampe gefunden. Da ich sie gerne...
Christiane Thomaßen, vor 12 Jahren
das ist ein hobby
von mir. antizyklisches kommentieren ;)
fabe, vor 12 Jahren
Das hier ist ja
schon eine Weile her. Hihi.
isabo, vor 12 Jahren
hier war ja neulich
stromausfall. menschen sind merkwürdig.
fabe, vor 12 Jahren
endlich endlich setzt jemand ein
Zeichen gegen das ständige Aussterben schöner Wörter! Da bin ich...
federfee, vor 12 Jahren
Lassen Sie doch vielleicht mal
Ihr Assoziationsmodul überprüfen, das spielt ja geradezu verrückt. Das...
isabo, vor 13 Jahren
Oh, vielen Dank!
isabo, vor 13 Jahren
grosses Lob Liebe Isabo,
bin ueber Meike auf Dich gestossen und finde Deine Texte ganz...
LvO, vor 13 Jahren
Der Verein lebe hoch, anderthalb
mal hoch Bin dabei.
Jolen, vor 13 Jahren
Da spricht mir wer aus
der Seele. Ich gebe mir auch schon seit Jahren...
Cuguron, vor 13 Jahren
Ha, wir haben auch nur
Fangen (hieß einfach "fanga") ohne so ein Hintertürchen gespielt....
Irene, vor 13 Jahren
Meiner hat mir nur von
dem Smiley auf seiner Krone erzählt. Und ob ich...
strandfynd, vor 13 Jahren
Bin gerade erst über das
Interview gestolpert - für mich als Auch-Japanisch-Übersetzerin doppelt und...
frenja, vor 14 Jahren
Beide haben Fahnenmasten, der linke
und der rechte Nachbar. Und beide haben die Deutschlandfahnen...
croco, vor 14 Jahren
das hier geht woanders
nicht besser, aber versuch macht kluch...
don papp, vor 14 Jahren
Ja. Ich habe aber erstens
Schimpfe bekommen für dieses wunderschöne, kühle, coole, elegante, heißgeliebte...
isabo, vor 14 Jahren
Sie wissen aber schon,
dass das hier schöner ausschaut?
leavesleft, vor 14 Jahren
Gute Entscheidung. Trennung in beruflich
und privat ist unpraktisch (für alle Beteiligten) und wenig...
textundblog, vor 14 Jahren
Jo. Dann.
isabo, vor 14 Jahren
Möchten Sie es wissen?
kinomu, vor 14 Jahren
alles gute und auf nach
drüben!
skizzenblog, vor 14 Jahren
ja ja ja!!! ES geht
es geht es geht!!! (aber halt ohne Editieren, wurscht!)...
g a g a, vor 14 Jahren
Ich GLAUBE, ich habe
das Captcha- Dings jetzt weggemacht. Kannst Du es nochmal veruschen?
isabo, vor 14 Jahren

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