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Donnerstag, 9. Juni 2005
Glück gehabt (wieder einer)

Diesmal ist es Praschl.

Mir fällt beim Lesen unsere Freundin J. aus Schottland ein, die irgendwann erzählte, wie sie zwanzig oder dreißig Jahre zuvor bei der Explosion eines Agas beinahe gestorben wäre. Sie erzählt es wie eine Geschichte vom Glück. Sie hatte Glück, dass sie nicht irgendwo in der Nähe des Aga stand, sondern unmittelbar daran lehnte, sodass sie mit der Wucht der Explosion wegflog und ihr nicht alles um die Ohren gehauen wurde; dass es ihr die Augenlider zugebrannt hat, sodass sie ihre Verletzungen nicht sehen konnte, denn dann hätte sie sich noch viel mehr erschreckt; dass die Sanitäter wussten, dass sie bei Bewusstsein war, denn sonst hätten sie darüber gesprochen, dass sie nicht glaubten, dass J. das überlebt; dass zufällig gerade ein Brandwundenspezialist aus London am Edinburgher Krankenhaus war, und dass er, als sie ihn fragte, ob sie sterben würde, sofort und spontan und im Brustton der Überzeugung sagte, nein, Quatsch, wie kommen Sie denn darauf? Später gestand er ihr, er sei da nicht so sicher gewesen. Noch später hat sie das Glück noch herausgefordert, ihr Arzt war nicht sicher, wie die großflächigen Narben eine Schwangerschaft überstehen würden, aber es ist zweimal gutgegangen.
Ich kann, als sie das erzählt, nur die Hände vor den Mund schlagen und J. anstarren und versuchen, nicht zu heulen, vor Schreck und vor Rührung und vor Glück, obwohl es ewig her ist, ich muss immer wieder sagen, was für ein Glück hattest du, und was bin ich froh, dass du so ein Glück hattest, und sie sagt, komisch, die wenigsten Leute reagieren so, die meisten sagen, wie schrecklich und was für ein Pech.

Am Autobahnrand ist es so laut, dass ich mich, um den ADAC anzurufen, wieder ins Auto setze. Plötzlich höre ich über den Autolärm und das Telefon am Ohr hinweg meinen Mann hinter der Leitplanke schreien, dann wackelt das Auto ein bisschen, als ein LKW an mir vorbeidonnert. Ich steige aus und frage, was war denn, war der so nah? A. kann erstmal gar nichts sagen, hält mich fest, ich spüre sein Herz durch zwei Pullover und zwei Jacken hindurch schlagen, der LKW sei geschlingert, sagt er dann, und auf die Standspur abgekommen, er habe nicht geglaubt, dass der es noch an mir vorbeischafft. Er lässt mich gar nicht mehr los, die ganze Dreiviertelstunde nicht, die wir hinter der Leitplanke im Regen stehen und auf den ADAC warten.

Was ich sagen will? Ich weiß es nicht. Ich bin sehr froh, dass Du noch da bist, Praschl.

oh, es ist mir ein vergnügen.

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Das war die erste gedankliche Begegnung mit dem Tod heute, die zweite kam beim Treppenhausschwatz mit den Nachbarinnen, es ging darum, wie lange wir jetzt hier gewohnt haben, und wie lange Herr S., unser Vormieter, also schon tot ist. Ich fragte, was ich beim Einzug nicht zu fragen gewagt hatte: ob er denn in unserer Wohnung gestorben sei. Ach, das wissen Sie gar nicht? Ja, ist er. In dem Zimmer, in dem wir seit sechs Jahren schlafen. Er wollte sich abends ausziehen und ist dabei einfach umgekippt und war tot. Wie habt ihr denn das Bett stehen, fragt die Nachbarin, quer, sage ich, ach so, sagt sie, Herr S. habe es längs stehen gehabt, als sei das eine Erleichterung. Und dann fürchtet sie, wir könnten jetzt nicht mehr ruhig schlafen.
Wir haben jetzt sechs Jahre lang ruhig dort geschlafen, da können wir es die letzten sechs Wochen auch noch. Wir könnten auch noch sechs weitere Jahre. Aber ich glaube, wenn ich es von Anfang an gewusst hätte, hätte ich mich ein bisschen gegruselt, ich weiß nicht, warum. Vielleicht, weil es damals noch nicht recht unsere Wohnung war, sondern etwas Neues, Fremdes, jetzt ist es unseres und irgendwann mal ist eben jemand, den wir nicht kannten, dort gestorben, aber das macht jetzt nichts mehr.

Und ich glaube, ich weiß jetzt auch, was ich oben sagen wollte. Keine Frage, wenn der Laster es nicht gerade noch so an mir vorbei geschafft hätte, wäre ich tot gewesen, aber ich habe es in dem Moment gar nicht gemerkt. Nur durch den übertragenen Schreck von A. habe ich begriffen, was da beinahe passiert wäre, und es war dadurch keineswegs minder heftig.
Ich lebe gerne, das weiß ich, es wird mir auch immer mal wieder bewusst, und ich bin dafür sehr dankbar - aber dieses Bewusstsein, DASS ich lebe, ist noch nie zuvor mit solcher Wucht bei mir eingeschlagen.

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Last modified: 09.12.13, 22:30
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Kommentare
Anderthalbfache Unterstützung!
Christl Klein, vor 11 Jahren
Hm, Tempers Kommentar ist ja
schon von 2008 - ich schätze eher nicht, dass...
isabo, vor 12 Jahren
Zettel's Ingo Maurer Hallo,
ich habe Ihren Beitrag zur Zettel's-Lampe gefunden. Da ich sie gerne...
Christiane Thomaßen, vor 12 Jahren
das ist ein hobby
von mir. antizyklisches kommentieren ;)
fabe, vor 12 Jahren
Das hier ist ja
schon eine Weile her. Hihi.
isabo, vor 12 Jahren
hier war ja neulich
stromausfall. menschen sind merkwürdig.
fabe, vor 12 Jahren
endlich endlich setzt jemand ein
Zeichen gegen das ständige Aussterben schöner Wörter! Da bin ich...
federfee, vor 12 Jahren
Lassen Sie doch vielleicht mal
Ihr Assoziationsmodul überprüfen, das spielt ja geradezu verrückt. Das...
isabo, vor 13 Jahren
Oh, vielen Dank!
isabo, vor 13 Jahren
grosses Lob Liebe Isabo,
bin ueber Meike auf Dich gestossen und finde Deine Texte ganz...
LvO, vor 13 Jahren
Der Verein lebe hoch, anderthalb
mal hoch Bin dabei.
Jolen, vor 13 Jahren
Da spricht mir wer aus
der Seele. Ich gebe mir auch schon seit Jahren...
Cuguron, vor 13 Jahren
Ha, wir haben auch nur
Fangen (hieß einfach "fanga") ohne so ein Hintertürchen gespielt....
Irene, vor 13 Jahren
Meiner hat mir nur von
dem Smiley auf seiner Krone erzählt. Und ob ich...
strandfynd, vor 13 Jahren
Bin gerade erst über das
Interview gestolpert - für mich als Auch-Japanisch-Übersetzerin doppelt und...
frenja, vor 14 Jahren
Beide haben Fahnenmasten, der linke
und der rechte Nachbar. Und beide haben die Deutschlandfahnen...
croco, vor 14 Jahren
das hier geht woanders
nicht besser, aber versuch macht kluch...
don papp, vor 14 Jahren
Ja. Ich habe aber erstens
Schimpfe bekommen für dieses wunderschöne, kühle, coole, elegante, heißgeliebte...
isabo, vor 14 Jahren
Sie wissen aber schon,
dass das hier schöner ausschaut?
leavesleft, vor 14 Jahren
Gute Entscheidung. Trennung in beruflich
und privat ist unpraktisch (für alle Beteiligten) und wenig...
textundblog, vor 14 Jahren
Jo. Dann.
isabo, vor 14 Jahren
Möchten Sie es wissen?
kinomu, vor 14 Jahren
alles gute und auf nach
drüben!
skizzenblog, vor 14 Jahren
ja ja ja!!! ES geht
es geht es geht!!! (aber halt ohne Editieren, wurscht!)...
g a g a, vor 14 Jahren
Ich GLAUBE, ich habe
das Captcha- Dings jetzt weggemacht. Kannst Du es nochmal veruschen?
isabo, vor 14 Jahren

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