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Mittwoch, 16. April 2008
Trapptrapp

Ich laufe los, der Funkwecker zeigt acht Minuten nach halb zwei, ich binde mir noch meine Armbanduhr um, damit ich unterwegs eine Vorstellung habe, wie lange ich schon laufe. Vorne an der Ecke fängt es an zu nieseln, fast kehre ich wieder um, aber da hört es auch schon wieder auf, ich verschiebe die Entscheidung, erstmal weiter, umkehren kann ich immer noch. Tatsächlich bleibt es den Rest der Strecke trocken.
In der Grünanlage sitzt, wie immer, der wirklich sehr heruntergekommene Stadtstreicher und ruft, wie immer, he, hallo, hast Du unverständlich, nein, rufe ich, ich hab nichts dabei. Als könnte er das nicht sehen, ich trage eine Laufhose und ein T-Shirt, was sollte ich dabeihaben außer meinem Hausschlüssel. Die Grünanlage zieht sich hin bis zum Park, so kann ich fast die ganze Strecke im Grünen laufen, kaum Straße dazwischen. Im Park angekommen gucke ich auf die Uhr, komisch, nicht mal zehn Minuten. Laufe längs durch den Park, am anderen Ende das Parks auf den Sportplatz. Eine Schulklasse ist dort, sie verteilen sich über die gesamte Breite der sieben Laufbahnen, stehen rum, machen mir aber freundlich Platz. Ich laufe eine Runde, die Schüler sortieren sich, wieder muss ich durch sie durch, jetzt geht es los, sie laufen jeweils zu zweit 400 Meter, eine Runde, auf Bahn zwei und drei, ruft der Lehrer mir zu, dann könne ich die Innenbahn nehmen. Wie nett. Dritte Runde, mich überholen zwei Schüler, ganz schön schnell, aber hey, die sind halb so alt wie ich und laufen nicht schon seit einer halben Stunde. Ich laufe auch nicht seit einer halben Stunde, komisch, zwanzig Minuten erst, es müsste doch schon viel mehr Zeit vergangen sein. Noch eine Runde, müsste die vierte sein, oder habe ich mich verzählt? Ich bin in Gedanken bei meinem Vortrag, den ich übermorgen halten muss, der mir seit Tagen Bauchschmerzen macht, so einen richtigen Klumpen im Magen, sodass ich plötzlich verstehe, wie Leute Magengeschwüre kriegen. Ich bin kurzfristig eingesprungen, habe mir überlegt, was ich sagen will, und wenn meine Zuhörer Ahnungslose wären, wäre das auch vielleicht ganz okay, aber es ist ein Vortrag vor Kollegen, die wissen das bestimmt alles selbst, was ich zu erzählen habe, ich bin ja nicht klüger als die, warum habe ich da bloß zugesagt? Dann hinterher der Workshop, das wird gehen, wir machen viel Textarbeit, das kann ich, und ich habe einige Übungen dabei, die ich schon mal mit einem Seminar gemacht habe, das wird laufen. Abregen, Magenklumpen weglaufen, alles wird gut, omm. Ich denke tatsächlich om mani padme hum, im Takt meiner Schritte, und muss lachen, was tut man nicht alles, um sich abzuregen und diesen Knoten im Bauch wegzurennen. Noch zweimal schlafen. Morgen fliege ich, vielleicht sollte ich mir einfach etwas drauf einbilden, sozusagen zum internationalen Übersetzer-Jetset zu gehören. Super. Ich bin im Flow, könnte einfach immer weiterlaufen, wie oft bin ich jetzt schon durch die Schulklasse gelaufen? Es waren doch sechs Runden, oder nicht, so viele bin ich noch nie gelaufen, trotzdem ist nicht mal eine halbe Stunde rum und sonst war ich immer länger unterwegs. Wahrscheinlich ist die Batterie meiner Uhr alle und ich bin in Wahrheit schon viel länger unterwegs, jaja, Wunschdenken. Aber ich bin doch auch nicht schneller gelaufen, na, egal, nach Hause jetzt. In der Grünanlage sitzt der wirklich sehr heruntergekommene Stadtstreicher und ruft he, hallo, hast Du unverständlich, nein, rufe ich, ich hab gar nichts dabei.
Ich laufe nach Hause, und als ich ankomme, zeigt meine Armbanduhr zehn nach zwei, ich bin gerade mal eine halbe Stunde gelaufen, das kann nicht sein, sonst war es immer viel länger, und ich war mindestens eine Runde mehr auf dem Sportplatz. Ich schließe die Tür auf und der Funkwecker zeigt vierzehn Uhr einunddreißig. Ich bin dreiundfünfzig Minuten gelaufen. Ha! So! Siehts! Aus!
Tatsächlich ist die Batterie meiner Armbanduhr leer, sie zeigt jetzt, um zwanzig nach vier, immer noch zehn nach zwei.

Ich werde mich irgendwann rächen und einen Blogartikel mit deinem gedoppelten Nachnamen überschreiben. ;-)

Viel Spaß bei dem Vortrag, wo immer er auch ist. Keine Frage, dass du das gut machen wirst. Guten Flug und komm wieder gut zurück.

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"Warum habe ich da bloß zugesagt"? Weil die Leute, die Dich gefragt haben, schon wissen, wem sie das zutrauen und wen sie gerne hören und sehen möchten. Weil Du das kannst. Weil wir Dich ein ganz bisschen überredet oder zumindest nicht widersprochen haben und stolz sein werden. Weshalb Du uns als Sündenböcklein auch den Klumpen überlassen und Dich einfach auf einen Moment Glanz und Gloria freuen könntest.
(Und: Wer 53 min vor Fachpublikum laufen kann, kann auch 53 min vor Fachpublikum reden.)

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Last modified: 09.12.13, 22:30
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Kommentare
Anderthalbfache Unterstützung!
Christl Klein, vor 11 Jahren
Hm, Tempers Kommentar ist ja
schon von 2008 - ich schätze eher nicht, dass...
isabo, vor 12 Jahren
Zettel's Ingo Maurer Hallo,
ich habe Ihren Beitrag zur Zettel's-Lampe gefunden. Da ich sie gerne...
Christiane Thomaßen, vor 12 Jahren
das ist ein hobby
von mir. antizyklisches kommentieren ;)
fabe, vor 12 Jahren
Das hier ist ja
schon eine Weile her. Hihi.
isabo, vor 12 Jahren
hier war ja neulich
stromausfall. menschen sind merkwürdig.
fabe, vor 12 Jahren
endlich endlich setzt jemand ein
Zeichen gegen das ständige Aussterben schöner Wörter! Da bin ich...
federfee, vor 12 Jahren
Lassen Sie doch vielleicht mal
Ihr Assoziationsmodul überprüfen, das spielt ja geradezu verrückt. Das...
isabo, vor 13 Jahren
Oh, vielen Dank!
isabo, vor 13 Jahren
grosses Lob Liebe Isabo,
bin ueber Meike auf Dich gestossen und finde Deine Texte ganz...
LvO, vor 13 Jahren
Der Verein lebe hoch, anderthalb
mal hoch Bin dabei.
Jolen, vor 13 Jahren
Da spricht mir wer aus
der Seele. Ich gebe mir auch schon seit Jahren...
Cuguron, vor 13 Jahren
Ha, wir haben auch nur
Fangen (hieß einfach "fanga") ohne so ein Hintertürchen gespielt....
Irene, vor 13 Jahren
Meiner hat mir nur von
dem Smiley auf seiner Krone erzählt. Und ob ich...
strandfynd, vor 13 Jahren
Bin gerade erst über das
Interview gestolpert - für mich als Auch-Japanisch-Übersetzerin doppelt und...
frenja, vor 14 Jahren
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croco, vor 14 Jahren
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don papp, vor 14 Jahren
Ja. Ich habe aber erstens
Schimpfe bekommen für dieses wunderschöne, kühle, coole, elegante, heißgeliebte...
isabo, vor 14 Jahren
Sie wissen aber schon,
dass das hier schöner ausschaut?
leavesleft, vor 14 Jahren
Gute Entscheidung. Trennung in beruflich
und privat ist unpraktisch (für alle Beteiligten) und wenig...
textundblog, vor 14 Jahren
Jo. Dann.
isabo, vor 14 Jahren
Möchten Sie es wissen?
kinomu, vor 14 Jahren
alles gute und auf nach
drüben!
skizzenblog, vor 14 Jahren
ja ja ja!!! ES geht
es geht es geht!!! (aber halt ohne Editieren, wurscht!)...
g a g a, vor 14 Jahren
Ich GLAUBE, ich habe
das Captcha- Dings jetzt weggemacht. Kannst Du es nochmal veruschen?
isabo, vor 14 Jahren

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