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Dienstag, 17. Februar 2009
Is a book

Harald Martenstein: Heimweg

Der Roman fängt so an: "Die Heimkehr meines Großvaters aus dem Krieg stand unter keinem guten Stern. Als seine Gruppe am Bahnhof ankam, zwanzig dünne Männer in grauen Wattejacken, spielte eine Kapelle Walzermelodien und Luftballons hingen an einem Reklameschild für Pepsi Cola. Die Wattejacken waren ein Abschiedsgeschenk der Sowjetunion, an ihre langjährigen deutschen Gäste. Der stellvertretende Bürgermeister hielt eine Rede und drückte jedem Spätheimkehrer die Hand, sofern eine solche noch vorhanden war. Die Zeitung würde ein Foto mit Bildtext bringen."

Das ist jetzt schwierig. Im Herbst habe ich ein Seminar bei Martenstein besucht. Ich mag seine Kolumnen sehr, schon immer, und seit dem Seminar auch den Menschen. Die Kolumnen sind klug und gut geschrieben, und Harald Martenstein ist, so sehr er sich in seiner Kolumne manchmal aufregen kann, ein sehr zurückhaltender und durch und durch freundlicher Mensch, grundsympathisch. Deswegen wäre ich jetzt gerne so richtig begeistert gewesen von diesem Roman.

Klappentext: In seinem ersten Roman wirft Harald Martenstein einen ungewöhnlichen Blick auf die Kinderjahre der Republik. Es geht um mörderische Väter und verlorene Mütter, um große Liebe und kleines Glück. Mit unterkühlter Ironie schafft er die Balance zwischen Trauer, Melancholie und Komik. »Heimweg« ist ein großartiger Roman über die Geister der Vergangenheit und die falschen Versprechungen der Zukunft.

Stimmt ja auch, und zwar inklusive des Lobs. Auch was Herr Paulsen sagt und die lobenden Rezensionen beim oben verlinkten Perlentaucher. Der Roman ist bevölkert von skurrilen Personen, die allesamt psychisch und/oder physisch irgendwie beschädigt sind, der eine mehr, der andere weniger. Alle versuchen, mit dem vergangenen Krieg zurechtzukommen, aber die Geister der Vergangenheit lassen sich nicht abschütteln, sie tauchen immer wieder auf. Ich habe die Geschichte und ihr Personal sehr gemocht.

Aber. Der eine Kritikpunkt ist ein sprachlicher. Ist mir bei Martenstein sonst nie aufgefallen, aber er drückt sich hier oft unnötig kompliziert aus. Es hat mich allerdings am Anfang mehr gestört als am Ende des Buches – entweder, es wird besser, oder ich habe mich beim Lesen daran gewöhnt. Hier sei exemplarisch nur genannt, dass ihm das (zugegebenermaßen nicht besonders klangvolle) Verb „haben“ offenbar zu schwach ist, weswegen er es durchgängig durch „besitzen“ ersetzt. Was natürlich nicht funktioniert, sondern zu veritablen Stilblüten führt, etwa einem Paar, das zwei Kinder besitzt, und einer Bluse, die vier Taschen besitzt.
Mein zweiter Kritikpunkt ist der Umgang mit der Prostitution. Man mag einwenden, dass es sich um eine Burleske handelt, da gehört das eben so. Aber dass diese beiden Schwestern, die die Bar betreiben und "Männer mit aufs Zimmer nehmen", aber nur solche, die sie auch ohne Geld mitgenommen hätten, weil „die Liebe“ nun mal ihr bevorzugter Zeitvertreib ist, das ist, mit Verlaub, eine wohlfeile und ärgerliche Männerphantasie. So unaufgeklärt können Sie nicht sein, Herr Martenstein, so unaufgeklärt bin nicht mal ich, und ich habe mich nie mit Prostitution befasst. Hätte ich mehr Zeit, würde ich noch mal blättern, um die Hinweise zu finden, die ich übersehen haben muss. Hinweise, dass diese Art des Broterwerbs doch ein wenig kritischer betrachtet wird und ich das nur übersehen habe. Wenn sie jemand gefunden hat, sagt Bescheid, das wäre mir glatt eine Erleichterung. Schade, das ist sonst wirklich ein wunderbares Buch mit großartigen Ideen und einer gut erzählten, großen, kleinen Geschichte.

Martenstein steht im Regal zwischen Axel Marquardt und Guy de Maupassant.

Schließen Sie aus dem Nichtvorhandensein von Kommentaren bitte nicht, dass Ihre Buchbesprechung kein Interesse gefunden hätte. Im Gegenteil, ich liebe Ihr geschmacksicheres Urteil, wie ich übrigens auch Ihren Kehlmann-Ruhm-Beobachtungen (z.B.: die Mutter ist der Schwachpunkt der Nerd-Geschichte) nur zustimmen konnte.
Oder sind die anderen doch alle drüben beim Twittern und hier liest niemand mehr? Wird es den Bloggern gehen wie den Verlegern?

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Ach, danke. Ich war vielleicht noch nie wegen eines Blogeintrags so unsicher wie wegen diesem hier, weil ich doch den M. so schrecklich gerne mag und mich jetzt fürchte, dass er das liest und mich dann nicht mehr liebhat. War aber auch eine Schnapsidee, hier immer anzukündigen, was ich als nächstes lese und mich damit sozusagen selbst zu verpflichten, das Gelesene dann auch zu besprechen. Zumal ich finde, dass ich Literaturrezensionen wirklich überhaupt nicht kann. (Was wiederum ein Grund war, dass ich mich zwingen wollte. Learning by doing.) Ich fühle mich nicht mal "geschmackssicher", wie Sie sagen. Ach, Elend. [No fishing intended.]

Heißt das eigentlich, Sie haben das Buch auch gelesen und so ähnlich empfunden?

Übrigens kündige ich jetzt nicht mehr vorher an, was ich als nächstes lese. Man muss ja auch mal die Möglichkeit haben, etwas nicht zu besprechen.

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Merkt man eigentlich, dass ich gerade ein bisschen dings bin? Mir war so.

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Nur keine Angst vor Ihrem eigenen Urteil! Schauen Sie sich den Großinquisitor Reich-Ranicki an: Je älter er wird, desto mehr redet er als sei er der Erfinder des Blogger-Stils in der Literaturkritik. Wahrscheinlich wäre Herr Martenstein dankbar gewesen, hätte er eine Lektorin wie Sie in seinem Verlag gehabt. Sie haben alles richtig gemacht.
Gelesen habe ich das Buch (noch) nicht, denn nach Herrn Kehlmann war noch Jakob Hein mit „Vor mir der Tag und hinter mir die Nacht“ dran. Da zeigte sich, dass Kehlmann nicht der einzige ist, der die verwobenen Geschichten beherrscht. Passt neben Kehlmann ins Regal. Und es wäre mal ein anderes Ordnungsprinzip als „Nordwand“ oder "alphabetische Belletristik".
Und zum Thema „dings“: Siehe Frage 42 vom 11 Feb: Schicke ich Ihnen hiermit ;-)

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Hihi, an der Nordwand wird doch nach ebendiesem Prinzip der gefühlen Nachbarschaften sortiert. (Bisschen scrollen, irgendwo in den Kommentaren.)
Ich finde allerdings auch Meks Ordnungsprinzip ganz überzeugend.

(Und: Danke.)

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Ja, so strikt an der Nordwand sortiert der mecklenburgisch-polnische Landadel seine Literatur. Da kommt die Dame nicht aus ihrer Haut (Sterbehilfe neben Schwangerschaft und Tango!). Aber mit Bruno kommt Hoffnung: Der blau-weiße Einfluss wird’s richten (und mit blau-weiß ist nichts Bayerisches gemeint!)

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Sächsich-lausitzscher, Herr Handfeger. (Mit Polen und Vorpommern und Vorharz liegen Sie aber auch richtig, und mit Hellblau-Weiß-Gestreift kann man sowieso nichts falsch machen.)
Und in Sachen Lektüre wird nebenan nun natürlich furchtbar geschlampt.

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Kommentare
Anderthalbfache Unterstützung!
Christl Klein, vor 11 Jahren
Hm, Tempers Kommentar ist ja
schon von 2008 - ich schätze eher nicht, dass...
isabo, vor 12 Jahren
Zettel's Ingo Maurer Hallo,
ich habe Ihren Beitrag zur Zettel's-Lampe gefunden. Da ich sie gerne...
Christiane Thomaßen, vor 12 Jahren
das ist ein hobby
von mir. antizyklisches kommentieren ;)
fabe, vor 12 Jahren
Das hier ist ja
schon eine Weile her. Hihi.
isabo, vor 12 Jahren
hier war ja neulich
stromausfall. menschen sind merkwürdig.
fabe, vor 12 Jahren
endlich endlich setzt jemand ein
Zeichen gegen das ständige Aussterben schöner Wörter! Da bin ich...
federfee, vor 12 Jahren
Lassen Sie doch vielleicht mal
Ihr Assoziationsmodul überprüfen, das spielt ja geradezu verrückt. Das...
isabo, vor 13 Jahren
Oh, vielen Dank!
isabo, vor 13 Jahren
grosses Lob Liebe Isabo,
bin ueber Meike auf Dich gestossen und finde Deine Texte ganz...
LvO, vor 13 Jahren
Der Verein lebe hoch, anderthalb
mal hoch Bin dabei.
Jolen, vor 13 Jahren
Da spricht mir wer aus
der Seele. Ich gebe mir auch schon seit Jahren...
Cuguron, vor 13 Jahren
Ha, wir haben auch nur
Fangen (hieß einfach "fanga") ohne so ein Hintertürchen gespielt....
Irene, vor 13 Jahren
Meiner hat mir nur von
dem Smiley auf seiner Krone erzählt. Und ob ich...
strandfynd, vor 13 Jahren
Bin gerade erst über das
Interview gestolpert - für mich als Auch-Japanisch-Übersetzerin doppelt und...
frenja, vor 14 Jahren
Beide haben Fahnenmasten, der linke
und der rechte Nachbar. Und beide haben die Deutschlandfahnen...
croco, vor 14 Jahren
das hier geht woanders
nicht besser, aber versuch macht kluch...
don papp, vor 14 Jahren
Ja. Ich habe aber erstens
Schimpfe bekommen für dieses wunderschöne, kühle, coole, elegante, heißgeliebte...
isabo, vor 14 Jahren
Sie wissen aber schon,
dass das hier schöner ausschaut?
leavesleft, vor 14 Jahren
Gute Entscheidung. Trennung in beruflich
und privat ist unpraktisch (für alle Beteiligten) und wenig...
textundblog, vor 14 Jahren
Jo. Dann.
isabo, vor 14 Jahren
Möchten Sie es wissen?
kinomu, vor 14 Jahren
alles gute und auf nach
drüben!
skizzenblog, vor 14 Jahren
ja ja ja!!! ES geht
es geht es geht!!! (aber halt ohne Editieren, wurscht!)...
g a g a, vor 14 Jahren
Ich GLAUBE, ich habe
das Captcha- Dings jetzt weggemacht. Kannst Du es nochmal veruschen?
isabo, vor 14 Jahren

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