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Freitag, 26. August 2005
Was ich mal werden will, wenn ich groß bin (Ehrgeiz und so)

Meine Oma, die Mutter meiner Mutter, wollte immer, dass ihre Kinder die besten sind. "Ich war immer Klassenbeste, warum hast Du nur eine zwei?" Meine Mutter fand das schrecklich, und daher galt bei ihr, also für uns: Hauptsache, das Kind ist vergnügt. Und so sind wir alle vier komplett bar jeden Ehrgeizes. Was ich manches Mal verflucht habe. So wusste ich nach der Schule nicht, was ich wollte, habe studiert, weil das so von mir erwartet wurde, Sprachen, weil die mir lagen, aber nicht, weil mich das Studium wirklich interessiert hätte. Aber was Anderes ist mir auch nicht eingefallen. Irgendwie habe ich mich durchgeschlängelt, mit möglichst wenig Aufwand, mittelmäßigen Noten und einer ziemlich beträchtlichen Studiendauer. Und dann?
War ich fast dreißig und wusste ich immer noch nicht, was ich wollte. Magistra in Japanologie und Anglistik, hurra. Ich war frisch verheiratet, der lustige Mann ging ins Referendariat und ich hatte die Wahl: eine Stelle suchen (Japanologie! Anglistik!), die ich bestimmt nicht in Menden im Sauerland finden würde, oder mitgehen. Menden. Sauerland. Mach ich mich halt selbständig. Übersetzt habe ich immer gerne. Nur wird man natürlich im Studium kein bisschen auf die Realität vorbereitet, und entsprechend naiv bin ich das Ganze angegangen.
Bücher zu übersetzen kam mir gar nicht erst in den Sinn. Ja, vielleicht, Kinderbücher, irgendwann mal, aber „richtige“ Bücher, nein, das ist was Großes, das kann ich doch gar nicht. Also schrieb ich Unternehmen an, in Anfällen von blindem Aktionismus, immer so 50-100 gleiche Briefe gingen da raus. Unprofessionell formuliert wahrscheinlich, keine Ahnung vom Geschäft, mit einem schlechten Drucker ausgedruckt etc. Manche haben sogar geantwortet. Tut uns Leid. Wir nehmen Sie in unsere Kartei auf. Danke auch.
Und Aufträge bekam ich auch, jawohl! Die Internetseiten mittelständischer metallverarbeitender Betriebe im Sauerland ins Englische übersetzen. Von Metallverarbeitung verstehe ich so viel wie die Kuh vom Fliegen, und dann auch noch in die Fremdsprache. Einen Engländer engagiert, der meine Übersetzungen korrigierte. Und der auch nicht die Welt von Metallverarbeitung verstand. So alle drei Monate ein Auftrag, und das Geld reichte manchmal sogar, um die nächste Autoreparatur zu bezahlen. „Neue Antriebstechnik für Straßenfertiger“ war ein Highlight. Bis dahin hatte ich schon dreißig Jahre lang das Deutsche als meine Muttersprache betrachtet und das Wort „Straßenfertiger“ noch nie gehört. Eine Sekretärin aus einem dieser Betriebe, die für ihren Freund in England Gedichte schrieb und sie von mir ins Englische übersetzen ließ, sorgte immerhin regelmäßig für Erheiterung.
Und dann kam, plötzlich und unerwartet, über eine Datenbank im Internet eine Anfrage für ein Buch. Ein Werk der Weltliteratur natürlich, es hieß "Gärten auf kleinstem Raum. Ideen für die Fensterbank, Balkon, Hof und Hauseingang." Ein Buch! Und plötzlich war er da, der Ehrgeiz. Ich wollte das machen. Ein Buch. Einen belanglosen Gartenratgeber. Ich verstand nicht viel vom Gärtnern, ich verstand auch nicht viel vom Übersetzen, aber ich wollte. Dass. Dieses. Buch. Gut. Wird. Und dass mein Name vorne drinsteht. Und dass man es in Buchhandlungen kaufen kann.
Ich weiß nicht, ob es gut geworden ist. Vielleicht sollte ich mal reingucken. Aber seitdem weiß ich, was ich will. Wenn ich groß bin, will ich richtig gute Bücher richtig gut übersetzen.

Meine Karriere als Fachübersetzerin gipfelte übrigens in einem chemischen Untersuchungsbericht über die Schimmelbildung an Bambus. Aus dem Japanischen. Seitdem mache ich kein Japanisch mehr, und keine Fachübersetzungen.

Was ich sagen will: nur Mut, Saoirse, manchmal weiß man es einfach plötzlich.

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Last modified: 06.06.24, 10:52
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Kommentare
Anderthalbfache Unterstützung!
Christl Klein, vor 12 Jahren
Hm, Tempers Kommentar ist ja
schon von 2008 - ich schätze eher nicht, dass...
isabo, vor 13 Jahren
Zettel's Ingo Maurer Hallo,
ich habe Ihren Beitrag zur Zettel's-Lampe gefunden. Da ich sie gerne...
Christiane Thomaßen, vor 13 Jahren
das ist ein hobby
von mir. antizyklisches kommentieren ;)
fabe, vor 13 Jahren
Das hier ist ja
schon eine Weile her. Hihi.
isabo, vor 13 Jahren
hier war ja neulich
stromausfall. menschen sind merkwürdig.
fabe, vor 13 Jahren
endlich endlich setzt jemand ein
Zeichen gegen das ständige Aussterben schöner Wörter! Da bin ich...
federfee, vor 13 Jahren
Lassen Sie doch vielleicht mal
Ihr Assoziationsmodul überprüfen, das spielt ja geradezu verrückt. Das...
isabo, vor 13 Jahren
Oh, vielen Dank!
isabo, vor 14 Jahren
grosses Lob Liebe Isabo,
bin ueber Meike auf Dich gestossen und finde Deine Texte ganz...
LvO, vor 14 Jahren
Der Verein lebe hoch, anderthalb
mal hoch Bin dabei.
Jolen, vor 14 Jahren
Da spricht mir wer aus
der Seele. Ich gebe mir auch schon seit Jahren...
Cuguron, vor 14 Jahren
Ha, wir haben auch nur
Fangen (hieß einfach "fanga") ohne so ein Hintertürchen gespielt....
Irene, vor 14 Jahren
Meiner hat mir nur von
dem Smiley auf seiner Krone erzählt. Und ob ich...
strandfynd, vor 14 Jahren
Bin gerade erst über das
Interview gestolpert - für mich als Auch-Japanisch-Übersetzerin doppelt und...
frenja, vor 14 Jahren
Beide haben Fahnenmasten, der linke
und der rechte Nachbar. Und beide haben die Deutschlandfahnen...
croco, vor 14 Jahren
das hier geht woanders
nicht besser, aber versuch macht kluch...
don papp, vor 14 Jahren
Ja. Ich habe aber erstens
Schimpfe bekommen für dieses wunderschöne, kühle, coole, elegante, heißgeliebte...
isabo, vor 14 Jahren
Sie wissen aber schon,
dass das hier schöner ausschaut?
leavesleft, vor 14 Jahren
Gute Entscheidung. Trennung in beruflich
und privat ist unpraktisch (für alle Beteiligten) und wenig...
textundblog, vor 14 Jahren
Jo. Dann.
isabo, vor 14 Jahren
Möchten Sie es wissen?
kinomu, vor 14 Jahren
alles gute und auf nach
drüben!
skizzenblog, vor 14 Jahren
ja ja ja!!! ES geht
es geht es geht!!! (aber halt ohne Editieren, wurscht!)...
g a g a, vor 14 Jahren
Ich GLAUBE, ich habe
das Captcha- Dings jetzt weggemacht. Kannst Du es nochmal veruschen?
isabo, vor 14 Jahren

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