Liebe A.,
gerade räume ich meinen Schreibtisch auf und finde einen alten Brief von Dir, vom 11. April 06. Natürlich habe ich ihn noch mal gelesen, Deine Briefe sind immer so eine Freude. Handschriftlich auf weißem Luftpostpapier, in Deiner schönen, schwungvollen Schrift – ich kann das gar nicht mehr, mit der Hand schreibe ich nur noch Einkaufszettel. Eigentlich würde ich Dir auch gerne mal schreiben, so richtig, mit Stift auf Papier, aber ach, ich kann ja gar nicht mithalten mit Deinen Briefen. Meine Schrift sieht aus wie die eines Psychopathen, da darf kein Graphologe draufgucken. Und nicht nur sieht meine Schrift unschön aus, nein, ich verschreibe mich auch noch andauernd. Noch dazu kommt, dass ich gar nicht mehr alles gleich ins Reine formulieren kann, wie machst Du das bloß? Ich bin viel zu computerisiert und es gewohnt, mich dauernd selbst zu korrigieren und andere, schönere Formulierungen zu suchen.
Es liest sich auch alles so angenehm, obwohl Du sagst, Du hast gar nicht recht etwas zu erzählen. Und dann erzählst Du doch, vom Kanji-Lernen zum Beispiel, und dass Du immer noch eine alte Eselsbrücke von mir benutzt. „Wirklich große Auswahl hat man, wenn die Reispflanzen schwer sind, und der Reis so groß wie eine Straßenbahn.“ Ja, ich erinnere mich. Was bin ich froh, aus dem Geschäft raus zu sein.
Das Wetter, schreibst Du, sei schlecht gewesen, vor einem Jahr, und da sei nicht viel zu wollen mit Kirschblüte. War es dieses Jahr schöner? Habt Ihr Ohanami gemacht? Wir waren ja leider etwas zu früh da und haben nur ein paar Pflaumenbäume blühen sehen.
Erinnerst Du Dich an meinen Blogeintrag am ersten Mai letzten Jahres? Über unsere Weinlagenwanderungen, wir gingen immer in Bensheim los, über Auerbach bis ich weiß nicht mehr wohin. Einmal haben wir sogar eine Deiner Nichten im Kinderwagen den Berg raufgeschoben; es muss wohl die Älteste gewesen sein. Wenn ich diesen alten Eintrag lese, fällt mir sofort ein, dass ich, als ich ihn schrieb, gerade Christoph Meckels „Licht“ las. Ein wunderbares Buch. Ich glaube, den Stil habe ich ein bisschen bei ihm abgeguckt; na ja, ich habe es versucht. Heute nun bekam ich eine Mail von einem Leser, er sei wegen dieses Blogeintrags dieses Jahr weinlagengewandert, und es sei sehr schön gewesen. Sowas freut mich ungemein. Denk doch nur, ich schreibe hier eine alte Erinnerung rein, und deswegen entdeckt jemand anderes, den ich kaum kenne, in einer anderen Ecke Deutschlands ein Jahr später eine Wanderstrecke, verbringt einen schönen Tag mit seiner Liebsten und plant, nächstes Jahr vielleicht in einer größeren Gruppe zu wandern. Da wurde mir glatt ein bisschen wehmütig; nicht, dass ich es jetzt nicht auch wunderbar hätte, aber so eine richtige Weinlagenwanderung in alter Besetzung wäre schon auch sehr natsukashii.
Sonst habe ich nicht viel zu erzählen. Wir genießen es weiterhin sehr, in Hamburg zu sein, unternehmen viel, gehen aus und kriegen Besuch, ich weiß gar nicht mehr, wie ich es so lange in C. ausgehalten habe. Wo ich doch immer so bedürftig nach Sozialkontakten bin. Und dann diese Stadt! Jetzt wohnen wir schon fast zwei Jahre hier, und mir geht immer noch das Herz auf, wenn ich den Hafen in der Sonne liegen sehe. Wenn die Sonne scheint, fahre ich manchmal mit der U-Bahn ins Büro statt mit der schnelleren S-Bahn, weil die U-Bahn nämlich am Hafen langfährt. Und zwar nicht unterirdisch, sondern oben, über der Straße. So schließe ich mit einem Zitat von Element of Crime: Alle vier Minuten kommt die U-Bahn hier vorbei, und alle dreieinhalb Minuten kommt ein neues Bier, und ich sage dir, das ist ungesund. Weil es nämlich irreführend und gefährlich ist, wenn etwas U-Bahn heißt, das über unsren Köpfen rattert, schließlich steht das U für Untergrund. […] Soll man nun der Sprache wegen diesen Teil der U-Bahn unter Schmerzen in die Erde legen, oder reicht es, wenn man kurz vor Schöneberg die Linie einfach sperrt? Sicher gibt das böses Blut, doch Sprache ist, das wissen wir, das allerhöchste Gut, und ohne Klarheit in der Sprache ist der Mensch nur ein Gartenzwerg.
Wenn man mich fragt: man könnte natürlich einfach alle Bahnen „Bahn“ nennen, dann ist es egal, ob sie oben oder unten fahren. In diesem Sinne - ich hoffe, Du hilfst Deinen Studenten erfolgreich aus dem Gartenzwergdasein heraus,
alles Liebe,
Deine Isa
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(1 Kommentar)
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Last modified: 06.06.24, 10:52
Sie sind nicht angemeldet
Hm, Tempers Kommentar ist ja
schon von 2008 - ich schätze eher nicht, dass...
isabo, vor 13 Jahren
Zettel's Ingo Maurer Hallo,
ich habe Ihren Beitrag zur Zettel's-Lampe gefunden. Da ich sie gerne...
Christiane Thomaßen, vor 13 Jahren
das ist ein hobby
von mir. antizyklisches kommentieren ;)
fabe, vor 13 Jahren
Das hier ist ja
schon eine Weile her. Hihi.
isabo, vor 13 Jahren
hier war ja neulich
stromausfall. menschen sind merkwürdig.
fabe, vor 13 Jahren
endlich endlich setzt jemand ein
Zeichen gegen das ständige Aussterben schöner Wörter! Da bin ich...
federfee, vor 13 Jahren
Lassen Sie doch vielleicht mal
Ihr Assoziationsmodul überprüfen, das spielt ja geradezu verrückt. Das...
isabo, vor 13 Jahren
Oh, vielen Dank!
isabo, vor 14 Jahren
grosses Lob Liebe Isabo,
bin ueber Meike auf Dich gestossen und finde Deine Texte ganz...
LvO, vor 14 Jahren
Der Verein lebe hoch, anderthalb
mal hoch Bin dabei.
Jolen, vor 14 Jahren
Da spricht mir wer aus
der Seele. Ich gebe mir auch schon seit Jahren...
Cuguron, vor 14 Jahren
Ha, wir haben auch nur
Fangen (hieß einfach "fanga") ohne so ein Hintertürchen gespielt....
Irene, vor 14 Jahren
Meiner hat mir nur von
dem Smiley auf seiner Krone erzählt. Und ob ich...
strandfynd, vor 14 Jahren
Bin gerade erst über das
Interview gestolpert - für mich als Auch-Japanisch-Übersetzerin doppelt und...
frenja, vor 14 Jahren
Beide haben Fahnenmasten, der linke
und der rechte Nachbar. Und beide haben die Deutschlandfahnen...
croco, vor 14 Jahren
das hier geht woanders
nicht besser, aber versuch macht kluch...
don papp, vor 14 Jahren
Ja. Ich habe aber erstens
Schimpfe bekommen für dieses wunderschöne, kühle, coole, elegante, heißgeliebte...
isabo, vor 14 Jahren
Sie wissen aber schon,
dass das hier schöner ausschaut?
leavesleft, vor 14 Jahren
Gute Entscheidung. Trennung in beruflich
und privat ist unpraktisch (für alle Beteiligten) und wenig...
textundblog, vor 14 Jahren
Jo. Dann.
isabo, vor 14 Jahren
Möchten Sie es wissen?
kinomu, vor 14 Jahren
alles gute und auf nach
drüben!
skizzenblog, vor 14 Jahren
ja ja ja!!! ES geht
es geht es geht!!!
(aber halt ohne Editieren, wurscht!)...
g a g a, vor 14 Jahren
Ich GLAUBE, ich habe
das Captcha- Dings jetzt weggemacht. Kannst Du es nochmal veruschen?
isabo, vor 14 Jahren
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