Freitag, 25. September 2009
Is a book
isabo,
00:43
Jenny Erpenbeck: Heimsuchung Die Geschichte eines Hauses, eines Grundstücks an einem märkischen See über das gesamte 20. Jahrhundert hinweg. Haus und Grundstück werden von verschiedenen Besitzern und Bewohnern bewohnt, erleben Krieg, Vertreibung, DDR, Mauerfall. Junge und alte, Männer, Frauen und Kinder, glückliche und unglückliche Zeiten. Die Bewohner wechseln, der Leser sieht einen nach dem anderen kommen und gehen. Was bleibt, ist der Garten. Und der Gärtner. Der Gärtner bleibt über all die Jahre da und kümmert sich, schneidet Pflanzen zurück, mäht den Rasen, stapelt Brennholz im Schuppen, kümmert sich um die Bienen und macht das Haus winterfest. Wahrscheinlich, denkt sie, werden die Sätze einfach alle irgendwann erreicht und mal von dem, mal von jenem gesprochen, da oder dort, wie eben auf einer Flucht allen alles gehört, denn der Gang der Dinge und Menschen war wohl, umgerechnet aufs Leben, im Grunde genommen immer der gleiche wie auf der Flucht. Im Frieden war es die Armut, und im Krieg war es die Front, die die Menschen vor sich herschob wie eine lange Reihe von Dominosteinen, einer schlief in des anderen Bett, benutzte dessen Kochzeug, aß die Vorräte auf, die der andere hatte stehen lassen müssen. Nur enger wurde es in den Zimmern, je mehr Bomben fielen. Angekommen ist sie schließlich hier, in diesem Garten, und wenn der Gong sie zum Essen ruft, hält sie für möglich, dass dieser Gong sie schon damals gerufen hat, als sie ihrem Hof endgültig den Rücken kehrte und sich mit den drei Enkeln, einem Federbett und einem blaugesprenkelten Kochtopf auf den Weg machte. Wenn man angekommen ist, heißt die Flucht dann immer noch Flucht? Und wenn man auf der Flucht ist, kommt man dann jemals an? (S. 131) Das ist wirklich große Literatur. Ich habe kurz ein bisschen gebraucht, um reinzukommen, und dann hat es mich (ebenso wie Erpenbecks „Wörterbuch“) sehr erwischt. Großartig und unglaublich intensiv und poetisch und berührend. Und wie im wirklichen Leben: es kommen einem nicht alle Figuren gleich nah. Manche dafür sehr. Lauter Leute, die eine besondere Beziehung zu diesem Haus, diesem Grundstück, diesem See haben, die alle ihre Lebensgeschichte haben, die fast alle auch Schlimmes erleben und ganz unterschiedlich damit umgehen. Außer dem Gärtner, der hat keine Geschichte, er hat den Garten, und er bleibt. Lesen, bitte. Wundervolles Buch. So leise. Ich mag so leise Bücher, in denen die Geschichte eher unspektakulär daherkommt und doch große Schicksale beschrieben werden. Sehr, sehr tolles Buch. Jenny Erpenbeck wohnt im Regal zwischen Till Endemann und Jeffrey Eugenides. ... Link (5 Kommentare) |
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Last modified: 06.06.24, 10:52 Status
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Kommentare
Zettel's Ingo Maurer Hallo,
ich habe Ihren Beitrag zur Zettel's-Lampe gefunden. Da ich sie gerne...
Christiane Thomaßen, vor 13 Jahren
endlich endlich setzt jemand ein
Zeichen gegen das ständige Aussterben schöner Wörter! Da bin ich...
federfee, vor 13 Jahren
Lassen Sie doch vielleicht mal
Ihr Assoziationsmodul überprüfen, das spielt ja geradezu verrückt. Das...
isabo, vor 13 Jahren
grosses Lob Liebe Isabo,
bin ueber Meike auf Dich gestossen und finde Deine Texte ganz...
LvO, vor 14 Jahren
Ha, wir haben auch nur
Fangen (hieß einfach "fanga") ohne so ein Hintertürchen gespielt....
Irene, vor 14 Jahren
Bin gerade erst über das
Interview gestolpert - für mich als Auch-Japanisch-Übersetzerin doppelt und...
frenja, vor 14 Jahren
Beide haben Fahnenmasten, der linke
und der rechte Nachbar. Und beide haben die Deutschlandfahnen...
croco, vor 14 Jahren
Ja. Ich habe aber erstens
Schimpfe bekommen für dieses wunderschöne, kühle, coole, elegante, heißgeliebte...
isabo, vor 14 Jahren
Gute Entscheidung. Trennung in beruflich
und privat ist unpraktisch (für alle Beteiligten) und wenig...
textundblog, vor 14 Jahren
ja ja ja!!! ES geht
es geht es geht!!! (aber halt ohne Editieren, wurscht!)...
g a g a, vor 14 Jahren
Ich GLAUBE, ich habe
das Captcha- Dings jetzt weggemacht. Kannst Du es nochmal veruschen?
isabo, vor 14 Jahren
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