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Freitag, 2. Juli 2010
Is a book

Chris Killen (Henning Ahrens): Das Vogelzimmer

Auf diesen kleinen Roman bin ich wegen einer hymnischen Rezension gestoßen. Die war so toll, dass ich sogar hier im Blog darauf hingewiesen habe, da schrieb nämlich Stefan Beuse im Titel-Magazin:

Wenn das also alles ist, geht’s darum auch in Chris Killens wundervoll spleeniger, herzzerreißend neurotischer und abgrundtief trauriger, schräg-schöner Liebesgeschichte Das Vogelzimmer. Aber auf diesen gerade mal 170 Seiten stehen Sätze, die den Himmel aufreißen lassen, die einen schluchzen machen können vor Glück.
Dieser Sprachkosmos ist durchweht von einem ganz eigenen Zauber, der einen so packt, dass die Liebesgeschichte auch auf „technischer“ Ebene funktioniert: Man kann sich als Leser ganz und gar in dieses Buch verknallen, und spätestens an dieser Stelle muss Henning Ahrens für seine Übersetzung gedankt werden, die so unglaublich gut ist, dass man froh ist, nicht den Originaltext daneben zu haben – einfach aus Angst, er könne nicht dieses magische Fluidum aufweisen, diesen sehr speziellen untergründigen Humor, diese Lebensklugheit und Größe.

Erstens kann mich eine solche Übersetzerhuldigung natürlich sowieso schon dazu bringen, ein Buch zu lesen, zweitens kenne ich den Herrn Beuse und habe seine Empfehlungen bisher gern gelesen.

Äh, Stefan? Was ist denn da passiert? Wo sind die Sätze mit dem magischen Fluidum, die den Himmel aufreißen lassen? Wo ist der Sprachkosmos? Ich sehe nur Sätze, die aus Subjekt, Prädikat, Objekt bestehen und nichts weiter. Fast ausschließlich solche Sätze, 170 Seiten lang, das erträgt doch kein Mensch.
Und sich in das Buch verknallen, nun ja, Geschmäcker sind ja verschieden, ich war jedenfalls zunehmend genervt. Die Figuren waren mir auch völlig egal, und wenn ich mich weder in die Figuren verknallen kann noch in die Sprache, dann bleibt nicht viel. Die Vögel vielleicht, aber die kommen ja nur auf den ersten paar Seiten vor, und dann ist unvermittelt Schluss mit Vögeln. Pun intended.

Der Roman beginnt so:
Gemälde kleiner Vögel. Zaunkönige, Rotkehlchen, Wellensittiche (ziemlich viele Wellensittiche). Alle leuchtend gelb, rot, braun, grün, ausgenommen die Taube. Die Taube ist grau.
Ich sitze auf dem Sofa. Sie sitzt neben mir. Sie hat die Beine übereinandergeschlagen. Zwischen uns ist ungefähr so          viel Platz. Will kocht uns in der Küche einen Tee. Die beiden sind sich hier zum ersten Mal begegnet. Die Idee stammt von mir.

Der Künstler Will (der mit den Vögeln) lernt also Alice kennen, und „ich“, Alices Freund, ist eifersüchtig. „Ich“ heißt zufällig ebenfalls Will. Und dann gibt es noch Helen, die früher Clair hieß. Alles klar? Ich-Will und Alice gehören zusammen, Künstler-Will und Helen gehören noch lange nicht zusammen, aber das soll noch werden, oder auch nicht. Erstmal lernen Künstler-Will und Alice sich kennen und Ich-Will platzt vor Eifersucht. Und am Ende gibt es, wie der Klappentext verspricht, eine überraschende Wendung, die genau die ist, mit der man die ganze Zeit rechnet, die aber trotzdem irgendwie wirr und nicht wirklich verständlich ist.

Es sind ein paar schöne Ideen drin, ja. Aber mir sind die Figuren alle zu krank. Ich will nichts über Paranoiker lesen, das ist mir irgendwie zu simpel, es ist so überzeichnet, dass ich die Figuren nicht ernst nehmen kann. Vor allem dann, wenn nicht eine, sondern sämtliche Figuren Psychopathen sind und niemand auch nur ansatzweise "normal". Wer ein wirklich tolles Buch über rasende Eifersucht lesen möchte, dem empfehle ich Der Ursprung der Welt von Jorge Edwards. Das ist große Eifersuchtskunst. (Und außerdem eins der schönsten Buchcover aller Zeiten.)

Beuse beginnt seine Rezension mit einem Hinweis auf das in der Tat schnarchlangweilige Buch „Dshamilja“ von Tschingis Aitmatov, von dem Luis Aragon (und seither jeder Vermarkter) behauptet: „Ich schwöre, das ist die schönste Liebesgeschichte der Welt“. Und er schließt mit dem Satz:
Bevor Rückseitentextverfasser das nächste Mal leichtfertig etwas schwören, sollen sie bitte dieses Buch lesen.
Also, das Vogelzimmer jetzt.
Ich hingegen räume das Vogelzimmer mit demselben Gefühl ins Regal, mit dem ich auch vor Ewigkeiten Dshamilja weggeräumt habe, nämlich: äh, was war das denn? Ich habe außerdem gar keine Liebesgeschichte gelesen, sondern eine Pychopathengeschichte. So gesehen ist die sprachliche Fürchterlichkeit auch wieder angebracht, das wollen wir dem Buch mal zugestehen. Im übrigen glaube ich, dass Henning Ahrens' Übersetzung wirklich sehr gut ist. Die Fürchterlichkeit muss vom Autor stammen.
Chris Killen kommt zwischen Irmgard Keun und Esther Kinsky.

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Last modified: 06.06.24, 10:52
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Kommentare
Anderthalbfache Unterstützung!
Christl Klein, vor 12 Jahren
Hm, Tempers Kommentar ist ja
schon von 2008 - ich schätze eher nicht, dass...
isabo, vor 13 Jahren
Zettel's Ingo Maurer Hallo,
ich habe Ihren Beitrag zur Zettel's-Lampe gefunden. Da ich sie gerne...
Christiane Thomaßen, vor 13 Jahren
das ist ein hobby
von mir. antizyklisches kommentieren ;)
fabe, vor 13 Jahren
Das hier ist ja
schon eine Weile her. Hihi.
isabo, vor 13 Jahren
hier war ja neulich
stromausfall. menschen sind merkwürdig.
fabe, vor 13 Jahren
endlich endlich setzt jemand ein
Zeichen gegen das ständige Aussterben schöner Wörter! Da bin ich...
federfee, vor 13 Jahren
Lassen Sie doch vielleicht mal
Ihr Assoziationsmodul überprüfen, das spielt ja geradezu verrückt. Das...
isabo, vor 13 Jahren
Oh, vielen Dank!
isabo, vor 14 Jahren
grosses Lob Liebe Isabo,
bin ueber Meike auf Dich gestossen und finde Deine Texte ganz...
LvO, vor 14 Jahren
Der Verein lebe hoch, anderthalb
mal hoch Bin dabei.
Jolen, vor 14 Jahren
Da spricht mir wer aus
der Seele. Ich gebe mir auch schon seit Jahren...
Cuguron, vor 14 Jahren
Ha, wir haben auch nur
Fangen (hieß einfach "fanga") ohne so ein Hintertürchen gespielt....
Irene, vor 14 Jahren
Meiner hat mir nur von
dem Smiley auf seiner Krone erzählt. Und ob ich...
strandfynd, vor 14 Jahren
Bin gerade erst über das
Interview gestolpert - für mich als Auch-Japanisch-Übersetzerin doppelt und...
frenja, vor 14 Jahren
Beide haben Fahnenmasten, der linke
und der rechte Nachbar. Und beide haben die Deutschlandfahnen...
croco, vor 14 Jahren
das hier geht woanders
nicht besser, aber versuch macht kluch...
don papp, vor 14 Jahren
Ja. Ich habe aber erstens
Schimpfe bekommen für dieses wunderschöne, kühle, coole, elegante, heißgeliebte...
isabo, vor 14 Jahren
Sie wissen aber schon,
dass das hier schöner ausschaut?
leavesleft, vor 14 Jahren
Gute Entscheidung. Trennung in beruflich
und privat ist unpraktisch (für alle Beteiligten) und wenig...
textundblog, vor 14 Jahren
Jo. Dann.
isabo, vor 14 Jahren
Möchten Sie es wissen?
kinomu, vor 14 Jahren
alles gute und auf nach
drüben!
skizzenblog, vor 14 Jahren
ja ja ja!!! ES geht
es geht es geht!!! (aber halt ohne Editieren, wurscht!)...
g a g a, vor 14 Jahren
Ich GLAUBE, ich habe
das Captcha- Dings jetzt weggemacht. Kannst Du es nochmal veruschen?
isabo, vor 14 Jahren

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