Donnerstag, 19. Mai 2005
Fundstück
isabo,
09:36
Jeden Morgen erwachte er mit der Sehnsucht, das Richtige zu tun und ein guter und bedeutsamer Mensch zu sein, mit der Sehnsucht – so schlicht es klang und so unmöglich es tatsächlich war –, glücklich zu sein. Und im Lauf eines jeden Tages sank sein Herz von der Brust in den Bauch. Am frühen Nachmittag war er von dem Gefühl durchdrungen, dass nichts richtig sei, jedenfalls nicht für ihn, und hatte nur noch den Wunsch, allein zu sein. Gegen Abend war er dann zufrieden: allein mit der Größe seiner Trauer, allein mit seinem ziellosen Schuldgefühl, allein sogar mit seiner Einsamkeit. Ich bin nicht traurig, sagte er sich immer wieder, ich bin nicht traurig. Als könnte er sich dadurch eines Tages überzeugen. Oder hinters Licht führen. Oder andere überzeugen – denn noch schlimmer, als traurig zu sein, ist, wenn andere wissen, dass man traurig ist. Ich bin nicht traurig. Ich bin nicht traurig. Denn sein Leben hatte ein unbegrenztes Potenzial für Glück, und zwar insofern, als es ein leerer, weiß gestrichener Raum war. Wenn er einschlief, lag sein Herz am Fußende des Bettes wie ein gezähmtes Tier, das gar kein Teil von ihm war. Und jeden Morgen, wenn er aufwachte, war es wieder im Schrank seines Brustkorbs; es war etwas schwerer und etwas schwächer geworden, aber es schlug noch. Und am Nachmittag war er abermals überwältigt von der Sehnsucht, irgendwo anders zu sein, irgendwer anders zu sein, irgendwer anders irgendwo anders zu sein. Ich bin nicht traurig. Jonathan Safran Foer: Alles ist erleuchtet. S. 71 f. Deutsch von Dirk van Gunsteren. Wenn ich durch bin, werde ich eine Hymne auf den Übersetzer schreiben müssen.
itha,
19.05.05, 22:59
nä, echt?
pfui deibel :) ohne den ursprungstext zu kennen, läse es sich so nicht besser und weniger hölzern? "Jeden Morgen wachte er auf mit der Sehnsucht, das Richtige zu tun und ein guter und bedeutsamer Mensch zu sein, mit der Sehnsucht – so einfach das auch klang, aber so unmöglich es in Wahrheit war –, glücklich zu sein. Und im Laufe jedes Tages sank sein Herz von der Brust in den Bauch. Am frühen Nachmittag war er von dem Gefühl durchdrungen, dass nichts richtig sei, jedenfalls nicht für ihn, und er hatte nur noch den Wunsch, allein zu sein. Gegen Abend war er dann zufrieden: allein mit dem Ausmaß seiner Traurigkeit, und allein mit seinem ziellosen Schuldgefühl, allein sogar mit seiner Einsamkeit. Ich bin nicht traurig, sagte er sich immer wieder, ich bin nicht traurig. Als könnte er sich dadurch eines Tages überzeugen. Oder hinters Licht führen. Oder andere überzeugen. Denn noch schlimmer, als traurig zu sein, ist, wenn andere wissen, dass man traurig ist. Ich bin nicht traurig. Ich bin nicht traurig. In seinem Leben war unbegrenzt Raum für Glück, denn es war ein leerer Raum mit weißen Wänden. Beim Einschlafen lag sein Herz am Fußende des Bettes wie ein gezähmtes Tier, das überhaupt kein Teil von ihm war. Und wenn er morgens aufwachte, war es wieder eingeschlossen in seinem Brustkorb; es war etwas schwerer und etwas schwächer geworden, aber es schlug noch. Und am Nachmittag war er erneut überwältigt von der Sehnsucht, irgendwo anders zu sein, irgendwer anderes zu sein, irgendwer anderes irgendwo anders zu sein. Ich bin nicht traurig." Mmmh. ... Link
isabo,
20.05.05, 13:35
Nee, Itha, das Zitat stammt aus einem Kapitel des Buchs, in dem es um die lang vergangene Geschichte einer Vorfahrin des Protagonisten geht, Ende des 18. Jahrhunderts. Da darf es schon ein bisschen tümeln ("erwachen", "eines jeden Tages" etc.), das passt schon. Ich finde es perfekt, es sind nur solche Kleinigkeiten, die nerven nicht, sind nicht übertrieben oder demonstrativ, es ist ja auch kein Buch aus der Zeit, sondern ein aktuelles, und genau dieser Hauch von "Alter" ist sehr stimmig. ... Link
chick,
20.05.05, 13:07
Dirk van Gunsteren übersetzte übrigens auch das Buch, das mich gerade wieder lachen macht, obwohl ich es sicher schon zum vierten oder fünften Mal lese: "Die ganze Katastrophe" von David Carkeet. Wenn ich es durch habe, was leider noch heute der Fall sein wird, schreibe ich mit an Frau isabos Hymne. ... Link |
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Zettel's Ingo Maurer Hallo,
ich habe Ihren Beitrag zur Zettel's-Lampe gefunden. Da ich sie gerne...
Christiane Thomaßen, vor 13 Jahren
endlich endlich setzt jemand ein
Zeichen gegen das ständige Aussterben schöner Wörter! Da bin ich...
federfee, vor 13 Jahren
Lassen Sie doch vielleicht mal
Ihr Assoziationsmodul überprüfen, das spielt ja geradezu verrückt. Das...
isabo, vor 13 Jahren
grosses Lob Liebe Isabo,
bin ueber Meike auf Dich gestossen und finde Deine Texte ganz...
LvO, vor 14 Jahren
Ha, wir haben auch nur
Fangen (hieß einfach "fanga") ohne so ein Hintertürchen gespielt....
Irene, vor 14 Jahren
Bin gerade erst über das
Interview gestolpert - für mich als Auch-Japanisch-Übersetzerin doppelt und...
frenja, vor 14 Jahren
Beide haben Fahnenmasten, der linke
und der rechte Nachbar. Und beide haben die Deutschlandfahnen...
croco, vor 14 Jahren
Ja. Ich habe aber erstens
Schimpfe bekommen für dieses wunderschöne, kühle, coole, elegante, heißgeliebte...
isabo, vor 14 Jahren
Gute Entscheidung. Trennung in beruflich
und privat ist unpraktisch (für alle Beteiligten) und wenig...
textundblog, vor 14 Jahren
ja ja ja!!! ES geht
es geht es geht!!! (aber halt ohne Editieren, wurscht!)...
g a g a, vor 14 Jahren
Ich GLAUBE, ich habe
das Captcha- Dings jetzt weggemacht. Kannst Du es nochmal veruschen?
isabo, vor 14 Jahren
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