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Donnerstag, 19. Mai 2005
Fundstück

Jeden Morgen erwachte er mit der Sehnsucht, das Richtige zu tun und ein guter und bedeutsamer Mensch zu sein, mit der Sehnsucht – so schlicht es klang und so unmöglich es tatsächlich war –, glücklich zu sein. Und im Lauf eines jeden Tages sank sein Herz von der Brust in den Bauch. Am frühen Nachmittag war er von dem Gefühl durchdrungen, dass nichts richtig sei, jedenfalls nicht für ihn, und hatte nur noch den Wunsch, allein zu sein. Gegen Abend war er dann zufrieden: allein mit der Größe seiner Trauer, allein mit seinem ziellosen Schuldgefühl, allein sogar mit seiner Einsamkeit. Ich bin nicht traurig, sagte er sich immer wieder, ich bin nicht traurig. Als könnte er sich dadurch eines Tages überzeugen. Oder hinters Licht führen. Oder andere überzeugen – denn noch schlimmer, als traurig zu sein, ist, wenn andere wissen, dass man traurig ist. Ich bin nicht traurig. Ich bin nicht traurig. Denn sein Leben hatte ein unbegrenztes Potenzial für Glück, und zwar insofern, als es ein leerer, weiß gestrichener Raum war. Wenn er einschlief, lag sein Herz am Fußende des Bettes wie ein gezähmtes Tier, das gar kein Teil von ihm war. Und jeden Morgen, wenn er aufwachte, war es wieder im Schrank seines Brustkorbs; es war etwas schwerer und etwas schwächer geworden, aber es schlug noch. Und am Nachmittag war er abermals überwältigt von der Sehnsucht, irgendwo anders zu sein, irgendwer anders zu sein, irgendwer anders irgendwo anders zu sein. Ich bin nicht traurig.

Jonathan Safran Foer: Alles ist erleuchtet. S. 71 f. Deutsch von Dirk van Gunsteren. Wenn ich durch bin, werde ich eine Hymne auf den Übersetzer schreiben müssen.

nä, echt?

pfui deibel :) ohne den ursprungstext zu kennen, läse es sich so nicht besser und weniger hölzern?

"Jeden Morgen wachte er auf mit der Sehnsucht, das Richtige zu tun und ein guter und bedeutsamer Mensch zu sein, mit der Sehnsucht – so einfach das auch klang, aber so unmöglich es in Wahrheit war –, glücklich zu sein. Und im Laufe jedes Tages sank sein Herz von der Brust in den Bauch. Am frühen Nachmittag war er von dem Gefühl durchdrungen, dass nichts richtig sei, jedenfalls nicht für ihn, und er hatte nur noch den Wunsch, allein zu sein. Gegen Abend war er dann zufrieden: allein mit dem Ausmaß seiner Traurigkeit, und allein mit seinem ziellosen Schuldgefühl, allein sogar mit seiner Einsamkeit. Ich bin nicht traurig, sagte er sich immer wieder, ich bin nicht traurig. Als könnte er sich dadurch eines Tages überzeugen. Oder hinters Licht führen. Oder andere überzeugen. Denn noch schlimmer, als traurig zu sein, ist, wenn andere wissen, dass man traurig ist. Ich bin nicht traurig. Ich bin nicht traurig. In seinem Leben war unbegrenzt Raum für Glück, denn es war ein leerer Raum mit weißen Wänden. Beim Einschlafen lag sein Herz am Fußende des Bettes wie ein gezähmtes Tier, das überhaupt kein Teil von ihm war. Und wenn er morgens aufwachte, war es wieder eingeschlossen in seinem Brustkorb; es war etwas schwerer und etwas schwächer geworden, aber es schlug noch. Und am Nachmittag war er erneut überwältigt von der Sehnsucht, irgendwo anders zu sein, irgendwer anderes zu sein, irgendwer anderes irgendwo anders zu sein. Ich bin nicht traurig."

Mmmh.

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Nee, Itha, das Zitat stammt aus einem Kapitel des Buchs, in dem es um die lang vergangene Geschichte einer Vorfahrin des Protagonisten geht, Ende des 18. Jahrhunderts. Da darf es schon ein bisschen tümeln ("erwachen", "eines jeden Tages" etc.), das passt schon. Ich finde es perfekt, es sind nur solche Kleinigkeiten, die nerven nicht, sind nicht übertrieben oder demonstrativ, es ist ja auch kein Buch aus der Zeit, sondern ein aktuelles, und genau dieser Hauch von "Alter" ist sehr stimmig.
Über die ein oder andere Formulierung ließe sich natürlich trefflich streiten, aber insgesamt fließt es höchst angenehm.
Auch das wird Teil der Hymne sein: es gibt zwei Erzähler in dem Buch, da ist noch der ukrainische Dolmetscher, der sich sehr um idiomatisches Englisch bemüht - das geht gelegentlich schief und Dirk v. G. hat das bewundernswert gelöst. Hut ab.

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ah, okay.

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Dirk van Gunsteren übersetzte übrigens auch das Buch, das mich gerade wieder lachen macht, obwohl ich es sicher schon zum vierten oder fünften Mal lese: "Die ganze Katastrophe" von David Carkeet. Wenn ich es durch habe, was leider noch heute der Fall sein wird, schreibe ich mit an Frau isabos Hymne.

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Kenne ich nicht, danke für den Tipp. Philip Roth hat er übrigens auch übersetzt, und David Foster Wallace und den aktuellen T.C. Boyle.

EDIT: Foster Wallace stimmt überhaupt nicht. Fiel mir gerade beim Putzen ein, den hat hauptsächlich Marcus Ingendaay übersetzt. Tst.

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Kommentare
Anderthalbfache Unterstützung!
Christl Klein, vor 12 Jahren
Hm, Tempers Kommentar ist ja
schon von 2008 - ich schätze eher nicht, dass...
isabo, vor 13 Jahren
Zettel's Ingo Maurer Hallo,
ich habe Ihren Beitrag zur Zettel's-Lampe gefunden. Da ich sie gerne...
Christiane Thomaßen, vor 13 Jahren
das ist ein hobby
von mir. antizyklisches kommentieren ;)
fabe, vor 13 Jahren
Das hier ist ja
schon eine Weile her. Hihi.
isabo, vor 13 Jahren
hier war ja neulich
stromausfall. menschen sind merkwürdig.
fabe, vor 13 Jahren
endlich endlich setzt jemand ein
Zeichen gegen das ständige Aussterben schöner Wörter! Da bin ich...
federfee, vor 13 Jahren
Lassen Sie doch vielleicht mal
Ihr Assoziationsmodul überprüfen, das spielt ja geradezu verrückt. Das...
isabo, vor 13 Jahren
Oh, vielen Dank!
isabo, vor 14 Jahren
grosses Lob Liebe Isabo,
bin ueber Meike auf Dich gestossen und finde Deine Texte ganz...
LvO, vor 14 Jahren
Der Verein lebe hoch, anderthalb
mal hoch Bin dabei.
Jolen, vor 14 Jahren
Da spricht mir wer aus
der Seele. Ich gebe mir auch schon seit Jahren...
Cuguron, vor 14 Jahren
Ha, wir haben auch nur
Fangen (hieß einfach "fanga") ohne so ein Hintertürchen gespielt....
Irene, vor 14 Jahren
Meiner hat mir nur von
dem Smiley auf seiner Krone erzählt. Und ob ich...
strandfynd, vor 14 Jahren
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Interview gestolpert - für mich als Auch-Japanisch-Übersetzerin doppelt und...
frenja, vor 14 Jahren
Beide haben Fahnenmasten, der linke
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croco, vor 14 Jahren
das hier geht woanders
nicht besser, aber versuch macht kluch...
don papp, vor 14 Jahren
Ja. Ich habe aber erstens
Schimpfe bekommen für dieses wunderschöne, kühle, coole, elegante, heißgeliebte...
isabo, vor 14 Jahren
Sie wissen aber schon,
dass das hier schöner ausschaut?
leavesleft, vor 14 Jahren
Gute Entscheidung. Trennung in beruflich
und privat ist unpraktisch (für alle Beteiligten) und wenig...
textundblog, vor 14 Jahren
Jo. Dann.
isabo, vor 14 Jahren
Möchten Sie es wissen?
kinomu, vor 14 Jahren
alles gute und auf nach
drüben!
skizzenblog, vor 14 Jahren
ja ja ja!!! ES geht
es geht es geht!!! (aber halt ohne Editieren, wurscht!)...
g a g a, vor 14 Jahren
Ich GLAUBE, ich habe
das Captcha- Dings jetzt weggemacht. Kannst Du es nochmal veruschen?
isabo, vor 14 Jahren

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