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Freitag, 19. August 2005
Übersetzungskritik (Feuilletonschelte)

Auf ReLÜ, der Online-Rezensionszeitschrift zur Literaturübersetzung, findet sich ein Interview mit Lothar Schröder von der Rheinischen Post zum Thema Literatur-/Übersetzungskritik, zu dem ich ein paar Anmerkungen loswerden möchte. Es geht darum, dass in der Literaturkritik so gut wie keine Übersetzungskritik stattfindet, ja oft nicht einmal erwähnt wird, dass und von wem ein Buch übersetzt wurde. Alle Zitate stammen von Schröder, der mit seiner Meinung aber keineswegs allein ist.

„Raum [für Übersetzungskritik] gäbe es vielleicht, nicht aber die Bereitschaft eines Kritikers - wohlgemerkt bei aller fremdsprachlicher Kompetenz -, erst das Original und dann die Übersetzung zu lesen, um darüber vielleicht nur 50 bis 60 Zeilen zu schreiben. Das ist, sorry für das Wort: unökonomisch und einfach nicht zu leisten.“
Ich bin überzeugt davon, dass man das Original nicht lesen muss, um zu erkennen, ob eine Übersetzung gelungen ist. Um die „Korrektheit“ der Übersetzung eines einzelnen Satzes zu beurteilen, schon – aber bei einem ganzen Buch nicht. Man merkt doch, ob da ein bestimmter Stil rüberkommt, ob es Rhythmus hat, ob die deutsche Sprache korrekt und kreativ eingesetzt wird, ob es voller Angliz- oder anderer -ismen steckt etc. Ich bin der Meinung, man merkt sogar, ob beispielsweise schiefe Metaphern absichtlich eingesetzt werden, ob sie ein Stilmittel sind, oder Unfälle, weil der Übersetzer es nicht besser konnte. Dafür braucht man nicht jeden einzelnen Satz mit dem Original zu vergleichen. Ich habe eine ganze Reihe von Übersetzungsseminaren besucht, sie richteten sich allesamt an Übersetzer mit Zielsprache Deutsch, Ausgangssprache egal. Da kam es im Einzelfall natürlich mal vor, dass jemand genau erklären musste, was da in der Ausgangssprache geschieht, aber da ging es eben um einzelne Sätze oder Ausdrücke, und nicht um den Gesamttext. Ansonsten reichte die deutsche Übersetzung als Diskussionsgrundlage völlig aus. Das Feuilleton könnte prima mal darüber aufklären, dass die Schwierigkeit beim Übersetzen nämlich normalerweise nicht darin liegt, das Original zu verstehen, sondern in der deutschen Sprache. Und die kann man auch durchaus beurteilen, ohne das Original zu kennen.

„Zumindest bekommt der Leser mit, dass der Autor aus einem anderen Literatur- und Lebensumfeld stammt. Ob er sich für den Übersetzer interessiert, weiß ich nicht. Kann ich mir aber nicht so recht vorstellen. Und ob er sich für die Übersetzung selbst interessiert? Wahrscheinlich nur, wenn er glaubt, einen schlimmen Fehler entdeckt zu haben."
Natürlich bekommt der Leser mit, dass ein Buch aus einem fremden Land stammt. Herrje, ganz blöd sind die Leute ja auch nicht. Dass das Interesse für die Übersetzer und ihre Übersetzungen trotzdem so gering ist, schiebe ich durchaus auch auf die Missachtung durch die Kritik. Ich glaube, das habe ich schon einmal geschrieben: wenn zum Beispiel Elke Heidenreich in epischer Breite die „wunderbare Sprache“ eines Autors lobt, kann man als Übersetzerin nur den Kopf darüber schütteln, dass ihr offensichtlich überhaupt nicht in den Sinn kommt, dass diese Sprache aus der Feder eines Übersetzers stammt. Beziehungsweise, da platzt einem einfach jedes Mal wieder der Kragen. Und der Stein kullert wieder den Berg runter und wir rollen ihn wieder rauf.

„(Frage:) Wie gehen Sie selbst in Ihren Rezensionen mit Übersetzungen um?
(Schröder:) Ich kann sie kaum würdigen. Wir versuchen wenigstens, den Namen des Übersetzers abzudrucken.“
Wieso können Sie das nicht? Und: „versuchen“? Wie reizend. Soweit ich weiß, müssen Sie das sogar, zumindest dann, wenn Sie aus dem Buch zitieren. Wir sind nämlich Urheber, falls ich das noch nicht erwähnt habe.

„(Frage:) Würden Sie für mehr Übersetzungskritik plädieren? Wo könnte dafür Raum sein?
(Schröder:) Das Leser-Interesse wird wohl nie so recht der Übersetzung gelten.“
Was ja unter anderem daran liegen könnte, dass das Feuilleton und andere Institutionen sich auch nicht dafür interessieren und das Interesse des Lesers nicht wecken. Ich dreh mich im Kreis.

„Das ist ein Spezialthema für Leute mit wirklich sehr guten Fremdsprachenkenntnissen und für Experten.“
Hä? Wenn die Leute sehr gute Fremdsprachenkenntnisse hätten, dann bräuchten sie keine Übersetzungen. Das klingt ja gerade so, als würden die Übersetzer nur Fachchinesisch absondern, das außer den Kollegen niemanden interessiert und das niemand versteht. Genau das Gegenteil ist doch der Fall.

„Aus diesem Grund ist es ja auch sinnvoll und gelungen, die Übersetzungskritik ins Internet zu stellen. Dort wird sich bald die passende Leser-Gemeinde finden. Ein Print-Medium für Übersetzungskritik dürfte wegen der überschaubaren Auflage kaum bezahlbar sein. Damit will ich zum Schluss des Interviews und zum Start ihres Projekts eigentlich nur sagen: Sie haben alles richtig gemacht!“
Tolle Wurst. Im Internet können sich ja dann die paar seltsamen Freaks sammeln, die sich dafür interessieren, und das Feuilleton und die professionelle Literaturkritik sind aus der Verantwortung entlassen, oder wie? Ein Printmedium für ausschließlich Übersetzungskritik würde den gleichen Zweck erfüllen wie die Internetseite: nur für Nerds. Nein, die Kritik muss endlich begreifen und entsprechend damit umgehen, dass ein großer Teil der besprochenen Bücher übersetzt ist. Von den Hundert Toptiteln der Jahresbestsellerliste 2004 im Bereich Belletristik waren 78 Übersetzungen. Wir spielen verdammt noch mal eine ziemlich wichtige Rolle in der deutschen Literaturlandschaft.
Gut, dass ich das Interview nicht führen musste, ich wäre wahrscheinlich geplatzt.

PS: Es gibt übrigens auch Ausnahmen unter den Rezensenten, zum Beispiel Dieter E. Zimmer und Maike Albath. Die können das durchaus!

hier bedarf es keiner schelte, sondern vielmehr eines kräftigen trittes in die allerwertesten. und vielleicht noch der beistellung von jeweils 15 dag spatzenhirn, oder eines pferdes (wegen des grossen denk-kopfes), kostenlos natürlich.

gerade wegen der übersetzung kam es ja manchmal dazu, dass bücher im ursprungsland (d.h., in der ursprungssprache) gar kein erfolg waren, dafür aber sehr wohl in der übersetzung/nachdichtung.

und es ist ziemlich egal, was übersetzt wird. wenn der übersetzer nicht WIRKLICH gut ist, ist das ergebnis für die fische. und zum gut sein gehört auch eine profunde kenntnis der materie, ganz egal, ob es sich beim urpsprungstext um ein comic, ein kochrezept oder die gebrauchsanleitung einer küchenmaschine handelt.

um so mehr gehört zur übersetzung von literatur. nicht nur die kenntins, sondern die beherrschung der betroffenen sprachen, der kulturen, des sprachgebrauchs, der geschichte, religionen und politik. und die melodie eines gedichtes wiedereinzufangen mit anderen worten, ach herrjeh ... aber wem sag ich das.

und warum wohl werden viele werke immer wieder neu übersetzt, und warum werden dann die übersetzungen verglichen, aktualisiert, etc.?

zu ihrem trost vielleicht: spoerl meinte schon in seiner "feuerzangenbowle" es komme öfter vor, dass die kopie besser gefiele als das original, und torberg in der "tante jolesch", zur herstellung von salzburger nockerln brauche man nicht nur das genaue rezept, sondern auch ein paar hundert jahre monarchie.

wenn ich jetzt ganz bösartig wäre, was ich natürlich nicht bin, könnte mir allerdings der gedanke kommen, dass manche feuilletonisten, deren schriftliche ergüsse oft nach einem tag schon geschichte sind, ein ganz klein wenig vom neid geplagt werden. manchmal und ein wenig.

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Ich glaube, den Kritikern ist eigentlich schon bewusst, was alles zum Übersetzen gehört und wie wichtig eine gute Übersetzung ist. Trotzdem denken sie beim Rezensionenschreiben einfach nicht dran, das zu erwähnen. Was nicht ganz logisch ist. Offensichtlich ist es so selbstverständlich, dass ein Buch übersetzt ist, dass niemand mehr darüber nachdenkt, selbst die nicht, die das von Berufs wegen müssten. Und das ist das Ärgerliche. Und sich dann auf "ach, das interessiert die Leser sowieso nicht" zurückzuziehen, ist billig.

Dass manche Bücher mehrfach übersetzt werden (eigentlich nur die großen Klassiker), muss nicht daran liegen, dass eine Übersetzung "schlecht" ist. Manchmal ist sie einfach nicht mehr zeitgemäß - es gibt auch beim Übersetzen sowas wie "Modeerscheinungen", bzw. ändern sich Dinge einfach. Vor 50 Jahren hätte man Croissant vielleicht noch mit Blätterteighörnchen übersetzt, das ist heute nicht mehr nötig, weil jeder weiß, was ein Croissant ist. Mum und Dad werden heute nicht mehr zu Mama und Papa, sondern bleiben auf Englisch stehen, ebenso die Dienstgrade von Polizisten, Agenten etc., ich nehme an, das war nicht schon immer so. Und so weiter. Man hat früher versucht, dem Leser möglichst weit entgegenzukommen, heute lässt man eher ein bisschen was Fremdes stehen. Eine Neuübersetzung muss also keine grundsätzliche Kritik an bereits erschienen Übersetzungen darstellen.

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ich meinte ja auch nicht, dass eine neuübersetzung kritik sein solle oder könne, das ist ja eben eine frage der kultur, die sich ändert und weiterentwickelt, ebenso wie die sprache.

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Ja, gut, ich wollte nur nicht, dass da Missverständnisse aufkommen.
Danke übrigens fürs ausführliche Mitaufregen!

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Kommentare
Anderthalbfache Unterstützung!
Christl Klein, vor 12 Jahren
Hm, Tempers Kommentar ist ja
schon von 2008 - ich schätze eher nicht, dass...
isabo, vor 13 Jahren
Zettel's Ingo Maurer Hallo,
ich habe Ihren Beitrag zur Zettel's-Lampe gefunden. Da ich sie gerne...
Christiane Thomaßen, vor 13 Jahren
das ist ein hobby
von mir. antizyklisches kommentieren ;)
fabe, vor 13 Jahren
Das hier ist ja
schon eine Weile her. Hihi.
isabo, vor 13 Jahren
hier war ja neulich
stromausfall. menschen sind merkwürdig.
fabe, vor 13 Jahren
endlich endlich setzt jemand ein
Zeichen gegen das ständige Aussterben schöner Wörter! Da bin ich...
federfee, vor 13 Jahren
Lassen Sie doch vielleicht mal
Ihr Assoziationsmodul überprüfen, das spielt ja geradezu verrückt. Das...
isabo, vor 13 Jahren
Oh, vielen Dank!
isabo, vor 14 Jahren
grosses Lob Liebe Isabo,
bin ueber Meike auf Dich gestossen und finde Deine Texte ganz...
LvO, vor 14 Jahren
Der Verein lebe hoch, anderthalb
mal hoch Bin dabei.
Jolen, vor 14 Jahren
Da spricht mir wer aus
der Seele. Ich gebe mir auch schon seit Jahren...
Cuguron, vor 14 Jahren
Ha, wir haben auch nur
Fangen (hieß einfach "fanga") ohne so ein Hintertürchen gespielt....
Irene, vor 14 Jahren
Meiner hat mir nur von
dem Smiley auf seiner Krone erzählt. Und ob ich...
strandfynd, vor 14 Jahren
Bin gerade erst über das
Interview gestolpert - für mich als Auch-Japanisch-Übersetzerin doppelt und...
frenja, vor 14 Jahren
Beide haben Fahnenmasten, der linke
und der rechte Nachbar. Und beide haben die Deutschlandfahnen...
croco, vor 14 Jahren
das hier geht woanders
nicht besser, aber versuch macht kluch...
don papp, vor 14 Jahren
Ja. Ich habe aber erstens
Schimpfe bekommen für dieses wunderschöne, kühle, coole, elegante, heißgeliebte...
isabo, vor 14 Jahren
Sie wissen aber schon,
dass das hier schöner ausschaut?
leavesleft, vor 14 Jahren
Gute Entscheidung. Trennung in beruflich
und privat ist unpraktisch (für alle Beteiligten) und wenig...
textundblog, vor 14 Jahren
Jo. Dann.
isabo, vor 14 Jahren
Möchten Sie es wissen?
kinomu, vor 14 Jahren
alles gute und auf nach
drüben!
skizzenblog, vor 14 Jahren
ja ja ja!!! ES geht
es geht es geht!!! (aber halt ohne Editieren, wurscht!)...
g a g a, vor 14 Jahren
Ich GLAUBE, ich habe
das Captcha- Dings jetzt weggemacht. Kannst Du es nochmal veruschen?
isabo, vor 14 Jahren

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