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Montag, 22. August 2005
Gelesen

Jenny Erpenbeck: Wörterbuch

Hm. Ich weiß überhaupt nicht, was ich davon halten soll. „Wörterbuch“ ist große Literatur, keine Frage. Aber leider schreit es auch auf jeder Seite „ich bin große Literatur!“ Jaja, hab ich gemerkt, das erkenne ich ja auch an. Ehrlich, ist mein Ernst. Aber muss es immer so bedeutungsschwanger daherkommen? Tja, nun ja, vielleicht muss es das. Es geht nämlich um ein namenloses Mädchen in einem namenlosen Land, eine Ich-Erzählerin, von der man nie weiß, wie alt sie gerade ist, oder ob man sich gerade in der Realität oder im Traum oder einem Tagtraum oder einem Rückblick befindet, aber das ist in Ordnung. Auch, dass sie viel zu eloquent ist, um plausibel als Kinderstimme zu sprechen, kann man machen. Das Mädchen wächst sehr behütet auf, als Einzelkind mit Amme und Hauspersonal, und stellt im Laufe der Jahre fest, dass dauernd Schüsse zu hören sind, dass immer mehr Menschen einfach verschwinden, dass überall steinerne Statuen von den Freunden des Vaters in der Stadt herumstehen etc. Das alles tritt so nach und nach zutage und dem Leser ist schon nach wenigen Seiten klar, worum es geht. Dem Mädchen selbst ist es zwar irgendwie auch klar, aber man wünscht sich doch, sie möge sich auch ein bisschen damit auseinandersetzen und nicht mit 17 immer noch so naiv tun. In ihren Tagträumen bevölkern all die Toten ihr Zimmer, aber das war’s. Sie nimmt alles hin. Zum Ende hin werden die Dinge dann beim Namen genannt, auch ihr gegenüber, aber selbst dann reagiert sie nicht. Es ist ekelhaft, es packt einen, es geht einem nahe, und man – oder ich zumindest – hätte dann gerne gehabt, dass es ihr ebenso geht. Aber vielleicht ist die Aussage des Buches ja auch, dass man ihr das Denken aberzogen hat, vielleicht habe ich es nur nicht kapiert. Vielleicht muss ich es noch mal lesen.
Und dann ärgere ich mich ein bisschen über mich selbst, dass ich mich so ernsthaft an Kleinigkeiten störe. Zum Beispiel an der Vorbemerkung im Impressum: „Die Interpunktion dieses Buches folgt weitgehend der alten Rechtschreibung, manchmal jedoch rein rhythmischen Gesichtspunkten“. Also nee. Die Zeichensetzung nicht zu beherrschen, ist ja in Ordnung, ich kann das auch nicht, zum Beispiel weiß ich gerade nicht, ob da wirklich ein Komma zwischen beherrschen und ist muss – aber wenn ich ein Buch schreibe, dann schlage ich so was doch nach und hoffe außerdem auf ein kompetentes Lektorat. Da schreibt man doch nicht vorne ins Buch rein, „Sorry, Leute, Kommas kann ich nicht“. Echt nicht. Und dann hinten drin dieses kindchenhafte Bild der Autorin, die immerhin 37 Jahre alt ist, hellblond, weißes Blüschen vor weißem Hintergrund, Blick durch den Pony von unten nach oben. Oder diese Marotte, hinter Fragen kein Fragezeichen zu setzen, sondern einen Punkt. Ehrlich, mich nervt so was.
Trotzdem: tolles Buch, irgendwie.
Ich bin sehr gespannt, Jenny Erpenbeck kommt im September mit ihren Übersetzerinnen ins Schwedische, Ulrika Wallenström (die ich kenne und sehr mag), und ins Polnische, Renata Makarska, zur Podiumsveranstaltung „Die Autorin trifft ihre Übersetzerinnen“ auf die Übersetzerjahrestagung. Vielleicht verstehe ich es dann besser.

Frau isabo, das war mal wieder viel zu spontan einfach losgeplappert. Das ist nämlich schon wirklich ein eindrucksvolles Buch. Wie sie die ganze Zeit einfach die Augen zumacht und nicht sehen will, was abgeht. Und wie man dann am Ende, wenn sie auch vor sich selbst nicht mehr so tun kann, als wüsste sie von nichts, richtig wütend wird, weil sie immer noch nicht reagiert. Das fasziniert mich sowieso, wie wütend ich sein kann auf einen Protagonisten, eine Protagonistin, ging mir schon bei Sandor Marais Vermächtnis der Eszter so, ich war stinksauer auf diese Eszter, und das beeindruckt mich sehr.

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Kommentare
Anderthalbfache Unterstützung!
Christl Klein, vor 12 Jahren
Hm, Tempers Kommentar ist ja
schon von 2008 - ich schätze eher nicht, dass...
isabo, vor 13 Jahren
Zettel's Ingo Maurer Hallo,
ich habe Ihren Beitrag zur Zettel's-Lampe gefunden. Da ich sie gerne...
Christiane Thomaßen, vor 13 Jahren
das ist ein hobby
von mir. antizyklisches kommentieren ;)
fabe, vor 13 Jahren
Das hier ist ja
schon eine Weile her. Hihi.
isabo, vor 13 Jahren
hier war ja neulich
stromausfall. menschen sind merkwürdig.
fabe, vor 13 Jahren
endlich endlich setzt jemand ein
Zeichen gegen das ständige Aussterben schöner Wörter! Da bin ich...
federfee, vor 13 Jahren
Lassen Sie doch vielleicht mal
Ihr Assoziationsmodul überprüfen, das spielt ja geradezu verrückt. Das...
isabo, vor 13 Jahren
Oh, vielen Dank!
isabo, vor 14 Jahren
grosses Lob Liebe Isabo,
bin ueber Meike auf Dich gestossen und finde Deine Texte ganz...
LvO, vor 14 Jahren
Der Verein lebe hoch, anderthalb
mal hoch Bin dabei.
Jolen, vor 14 Jahren
Da spricht mir wer aus
der Seele. Ich gebe mir auch schon seit Jahren...
Cuguron, vor 14 Jahren
Ha, wir haben auch nur
Fangen (hieß einfach "fanga") ohne so ein Hintertürchen gespielt....
Irene, vor 14 Jahren
Meiner hat mir nur von
dem Smiley auf seiner Krone erzählt. Und ob ich...
strandfynd, vor 14 Jahren
Bin gerade erst über das
Interview gestolpert - für mich als Auch-Japanisch-Übersetzerin doppelt und...
frenja, vor 14 Jahren
Beide haben Fahnenmasten, der linke
und der rechte Nachbar. Und beide haben die Deutschlandfahnen...
croco, vor 14 Jahren
das hier geht woanders
nicht besser, aber versuch macht kluch...
don papp, vor 14 Jahren
Ja. Ich habe aber erstens
Schimpfe bekommen für dieses wunderschöne, kühle, coole, elegante, heißgeliebte...
isabo, vor 14 Jahren
Sie wissen aber schon,
dass das hier schöner ausschaut?
leavesleft, vor 14 Jahren
Gute Entscheidung. Trennung in beruflich
und privat ist unpraktisch (für alle Beteiligten) und wenig...
textundblog, vor 14 Jahren
Jo. Dann.
isabo, vor 14 Jahren
Möchten Sie es wissen?
kinomu, vor 14 Jahren
alles gute und auf nach
drüben!
skizzenblog, vor 14 Jahren
ja ja ja!!! ES geht
es geht es geht!!! (aber halt ohne Editieren, wurscht!)...
g a g a, vor 14 Jahren
Ich GLAUBE, ich habe
das Captcha- Dings jetzt weggemacht. Kannst Du es nochmal veruschen?
isabo, vor 14 Jahren

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