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Dienstag, 27. September 2005
Oha!

Sehr interessanter Telepolis-Artikel von Tom Appleton über das literarische Übersetzen, mit einer ungewöhnlichen Kernaussage: Appleton wünscht sich nämlich, aus Übersetzungen die Stimme des Übersetzers deutlicher heraushören zu können. Der Übersetzer, meint er, solle nicht hinter dem Autor verschwinden, sondern seine eigenen schriftstellerischen Qualitäten, seinen eigenen Ton stärker herausbringen. Interessantes Thema! Und unbedingt diskussionswürdig. Ich habe natürlich schon mal eine hübsche kleine Meinung dazu vorbereitet, und da ich ein Harmoniehäschen und Konsenskaninchen bin, geht die so:
Nun ja! Irgendwo in der Mitte. Natürlich muss der Übersetzer hinter den Autor zurücktreten. Er muss den Stil, Sound, Rhythmus, Duktus des Autors möglichst adäquat rüberbringen, Punkt. Trotzdem muss er aufrichtig bleiben, sich selbst treu bleiben. Ich habe einmal die Übersetzung einer Kollegin korrekturgelesen, die immer wieder „droben“ und „drunten“ schrieb. Das habe ich immer schön in „oben“ und „unten“ korrigiert, bis ich verstand, der Wahnsinn hat Methode; sie ist Süddeutsche, das ist ihre Sprache und damit völlig in Ordnung. Also habe ich meine Korrekturen wieder gestrichen.
Und nachdem eine Freundin meinen ersten Roman gelesen hatte, sagte sie, sie habe mich dauernd rausgehört und würde gerne einen von jemand anderem übersetzten Roman derselben Autorin lesen, um zu gucken, ob das nun wirklich an mir lag oder an der Autorin. Ich weiß nicht mehr, zu welchem Schluss sie gekommen ist – jedenfalls finde ich es völlig in Ordnung, wenn man mich darin erkennt. (Zumal es in dem Fall eine Ich-Erzählerin war, die nicht so viel jünger war als ich, die konnte ich einfach so daherplappern lassen, wie ich auch daherplappere.) Nicht in Ordnung ist es jedoch, wenn jedes Buch eines Übersetzers eindeutig nach dem Übersetzer klingt und der Autor nicht mehr erkennbar ist.
Ich finde auch hier den Vergleich mit dem Komponisten und dem Interpreten ganz passend, den könnt Ihr ja selbst zu Ende denken. (Gerade fällt mir auf, dass das mit den unterschiedlichen Interpretationen des selben Stücks in der U-Musik sehr viel deutlicher zutage tritt als in der E-Musik. Diese Erkenntnis kann ich jetzt allerdings nicht selbst zu Ende denken. Aber ich kann in dem Zusammenhang Elvis' "In the Ghetto" in der Version von Nick Cave and the Bad Seeds empfehlen.)

Das Problem stellt sich vielleicht deutlicher bei Texten, mit denen man sich nicht anfreunden kann. Ich hatte ein Gedicht von Pasolini uebertragen, das in seinem Vokabular an die dekadentistischen Verse D'Annunzios erinnerte, das ganze klang auf deutsch erst recht wirklich uebel. Ich habe dann solange daran rumgeschliffen, bis die Tonlage sanfter und zurueckhaltender wurde, ohne von den Bildern oder dem Wortlaut im Original allzuweit abzustechen. Ich bin sehr skeptisch, ob das legitim war, vielleicht haette ich es ganz lassen sollen (war eine freiwillige Arbeit). Die Problematik hier liegt darin, dass ich nicht die 'Verantwortung' fuer das Gedicht uebernehmen wollte, als blosser Uebersetzer. Eigener Stil bringt diese Verantwortung (auch im Guten) mit.

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Hm. So habe ich das noch gar nicht gesehen. Ich stelle nur fest, dass ich unterschiedlich viel Respekt vor meinen Autoren habe, und je weniger Respekt ich habe, desto weniger Skrupel habe ich auch, ein bisschen einzugreifen. Beziehungsweise umgekehrt: wenn ich Respekt vor einem Autor habe, dann deswegen, weil er gut schreibt - daran will ich dann ja gar nichts ändern, sondern ihm gerecht werden.

Man kann natürlich auch Respekt haben und trotzdem eingreifen wollen - ob das "legitim" ist, nun ja, jede Übersetzung ist ja auch eine Art Interpretation, insofern kann man das schon machen, muss sich dann aber unter Umständen gefallen lassen, dass Andere diese Interpretation für völlig daneben halten. Bei Gedichten tritt das natürlich besonders deutlich zutage. Bei meinen literarisch eher schlichten Unterhaltungsromanen bin ich manchmal froh, dass die Verantwortung für die Story eindeutig nicht bei mir liegt.

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Das mit der Verantwortung kann man an einem Beispiel sehen: die klassische Uebersetzung von "Fleurs du Mal" lautet "Blumen des Boesen", das ist eine Interpretation, die gut in die damalige deutsche Lyrik reinpasste - so zwischen Symbolismus und Richard Wagner. Und es schlaegt ganz klar eine Interpretation vor, in der das "Boese" als Entitaet zu existieren scheint. Die Uebersetzerin Fahrenbach-Wachendorf aeusserte sich einmal, dass eine genauere Uebersetzung dem eigentlich nicht stand haelt, sie schlug "Blueten des Verderbens" vor. Aber es sei unmoeglich, diesen neuen Titel gegen den einmal etablierten noch durchzusetzen. Ich finde beides richtig - hier hat also ein Stueck Uebersetzungsgeschichte stattgefunden, das seine eigene legitime Qualitaet hat, die man beruecksichtigen muss.

Aber richtig: bei Gedichten ist das eh heikel (oder auch bei konzentrierter Prosa: L'Education sentimental - Erziehung des Herzens, genau das gleiche). Hier veraendert sich die 'Story' ja schon durch Veraenderung von Satzzeichen.

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Ähnliches gab es bei der Neuübersetzung von Dostojewskis "Schuld und Sühne"; dort hat man sich aber doch zu "Verbrechen und Strafe" durchgerungen.

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Last modified: 06.06.24, 10:52
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Kommentare
Anderthalbfache Unterstützung!
Christl Klein, vor 12 Jahren
Hm, Tempers Kommentar ist ja
schon von 2008 - ich schätze eher nicht, dass...
isabo, vor 13 Jahren
Zettel's Ingo Maurer Hallo,
ich habe Ihren Beitrag zur Zettel's-Lampe gefunden. Da ich sie gerne...
Christiane Thomaßen, vor 13 Jahren
das ist ein hobby
von mir. antizyklisches kommentieren ;)
fabe, vor 13 Jahren
Das hier ist ja
schon eine Weile her. Hihi.
isabo, vor 13 Jahren
hier war ja neulich
stromausfall. menschen sind merkwürdig.
fabe, vor 13 Jahren
endlich endlich setzt jemand ein
Zeichen gegen das ständige Aussterben schöner Wörter! Da bin ich...
federfee, vor 13 Jahren
Lassen Sie doch vielleicht mal
Ihr Assoziationsmodul überprüfen, das spielt ja geradezu verrückt. Das...
isabo, vor 13 Jahren
Oh, vielen Dank!
isabo, vor 14 Jahren
grosses Lob Liebe Isabo,
bin ueber Meike auf Dich gestossen und finde Deine Texte ganz...
LvO, vor 14 Jahren
Der Verein lebe hoch, anderthalb
mal hoch Bin dabei.
Jolen, vor 14 Jahren
Da spricht mir wer aus
der Seele. Ich gebe mir auch schon seit Jahren...
Cuguron, vor 14 Jahren
Ha, wir haben auch nur
Fangen (hieß einfach "fanga") ohne so ein Hintertürchen gespielt....
Irene, vor 14 Jahren
Meiner hat mir nur von
dem Smiley auf seiner Krone erzählt. Und ob ich...
strandfynd, vor 14 Jahren
Bin gerade erst über das
Interview gestolpert - für mich als Auch-Japanisch-Übersetzerin doppelt und...
frenja, vor 14 Jahren
Beide haben Fahnenmasten, der linke
und der rechte Nachbar. Und beide haben die Deutschlandfahnen...
croco, vor 14 Jahren
das hier geht woanders
nicht besser, aber versuch macht kluch...
don papp, vor 14 Jahren
Ja. Ich habe aber erstens
Schimpfe bekommen für dieses wunderschöne, kühle, coole, elegante, heißgeliebte...
isabo, vor 14 Jahren
Sie wissen aber schon,
dass das hier schöner ausschaut?
leavesleft, vor 14 Jahren
Gute Entscheidung. Trennung in beruflich
und privat ist unpraktisch (für alle Beteiligten) und wenig...
textundblog, vor 14 Jahren
Jo. Dann.
isabo, vor 14 Jahren
Möchten Sie es wissen?
kinomu, vor 14 Jahren
alles gute und auf nach
drüben!
skizzenblog, vor 14 Jahren
ja ja ja!!! ES geht
es geht es geht!!! (aber halt ohne Editieren, wurscht!)...
g a g a, vor 14 Jahren
Ich GLAUBE, ich habe
das Captcha- Dings jetzt weggemacht. Kannst Du es nochmal veruschen?
isabo, vor 14 Jahren

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