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Montag, 31. Oktober 2005
Anglizismen reloaded

Unten in den Kommentaren stellt Herbstumpf die Frage:

Und zwar habe ich neulich die Formulierung "nicht wirklich" in einem Buch gelesen. Wie wir ja wissen, ist das eine zu wörtliche Übersetzung aus dem Englischen und im Deutschen macht die Formulierung wenig Sinn. Dennoch ist die Formulierung ja im Sprachgebrauch ziemlich verbreitet. Ist es da schlechter Stil ein "nicht wirklich" zu verwenden oder wird das durch den häufigen Gebrauch im "Volksmund" legitimiert? Wäre ja auch schließlich doof, wenn wörtliche Rede in Büchern unglaubwürdig gestelzt klingen müsste.

Das ist eine sehr grundsätzliche Frage, die ich mir auch immer wieder stelle. Sprache hat sich schon immer entwickelt und verändert, vor allem auch unter dem Einfluss anderer Sprachen. Die Kernfrage ist also, wie lange man solche Einflüsse als "falsch" oder unerwünschte -ismen empfindet, und ab wann man sie als Sprachwandel akzeptiert oder gar nicht mehr merkt, dass etwas ursprünglich anderswoher kam. Man könnte sich natürlich einfach an den Duden halten und beschließen, dass man einen Ausdruck, wenn er erstmal im Duden steht, auch verwenden kann. Man kann aber ebenso gut der Meinung sein, dass der Duden auch nicht immer der Weisheit letzter Schluss ist.
Ich sehe mich einerseits schon ein bisschen in der Pflicht, mit meinen bescheidenen kleinen Mitteln auch sprachbewahrerisch zu wirken, und bemühe mich selbstverständlich um korrektes Deutsch. Aber Korrektheit ist so eine Sache, es soll ja auch lebendig sein. Gerade bei Unterhaltungsliteratur, und vor allem in der wörtlichen Rede. Ich habe es für mich so gelöst, dass ich in wörtlicher Rede durchaus mal "nicht wirklich" schreibe, oder "das macht doch keinen Sinn" oder Ähnliches, wenn es mir als passend erscheint. Im Erzähltext würde ich das nicht tun (na gut, vielleicht bei einem umgangssprachlich daherplappernden Ich-Erzähler), und in Sachtexten natürlich schon gar nicht. Aber in wörtlicher Rede ist ja sowieso fast alles erlaubt, da muss man ja oft "falsches" Deutsch schreiben, damit eine Figur plausibel wirkt. Und es macht übrigens mächtig Spaß, so richtig schön falsche Sachen zu schreiben. ("Ja, geil, jetzt noch das als durch ein wie ersetzen, wird immer besser!") Wobei mir der Ausdruck "falsch" nicht gefällt, Umgangssprache ist einfach etwas Anderes als Schriftsprache, da ist es "richtig", wenn die Leute nun mal so sprechen.

Wichtig ist, dass man sich dieser Dinge bewusst ist und sie bewusst einsetzt. Ich habe mal ein hervorragendes Seminar zur Übersetzung von Lyrik besucht, in dem unter anderem die Devise geboren wurde: "Beherrscht das Metrum, ehe ihr es brecht!" Was ein dreifach schöner Satz ist, denn erstens ist das ein akkurater fünfhebiger Jambus, zweitens hat gerade Brecht das Metrum gern gebrochen (bzw. gleich in freien Rhythmen geschrieben), und drittens ist es ein kluger Satz. Man darf das Metrum tatsächlich auch mal brechen (was eigentlich ganz und gar verboten ist. Reime - pfft, nicht so wichtig, aber das Metrum! The Beat!), und zwar unter der Voraussetzung, dass man sich dessen bewusst ist, es absichtlich tut, und genau weiß, wie es eigentlich richtig wäre. Solange man nicht auf sicheren Füßen steht, lässt man es besser. Und ich denke, das gilt für alle Regelverstöße in der Sprache: kann man machen, wenn man die Regeln denn beherrscht und die Verstöße mit Verstand einsetzt. Dann wird es lebendig.

Übrigens ist das Thema nicht neu, Johann Michael Moscherosch hat sich schon vor 350 Jahren über französische und lateinische Einflüsse uffgeregt:

Fast jeder Schneider will jetzund leider
Der Sprach erfahren sein und redt latein,
Wälsch und französisch, halb japonesisch,
Wann er ist doll und voll, der grobe Knoll.

Ihr bösen Teutschen, man sollt´ euch peitschen,
Daß ihr die Muttersprach so wenig acht.
Ihr lieben Herren, das heißt nicht mehren:
Die Sprach verkehren und zerstören.

Ihr tut alles mischen mit faulen Fischen
Und macht ein Mischgemäsch, eine wüste Wäsch
Ihr bösen Teutschen, man sollt´ euch peitschen.
In unserm Vaterland, pfuy ob der Schand!

Johann Michael Moscherosch (1601 - 1669)

*staunt* Vielen, vielen Dank für die ausführliche Beantwortung meiner Frage. Sehr interessant :).

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Ich frage mich spontan, warum sich immer wieder korinthendigestiver Streit an "nicht wirklich" entzündet. So floskelig und per se sinnentleert das Diktum sein mag - ich habe es, trotz Floskelabneigung, ins Herz geschlossen und mag es gern. :)

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Ach, so ist das eben bei Allergien. Der eine reagiert auf Gräser, der andere auf Birken oder auf einmal mehr. Mir macht nicht wirklich auch nicht wirklich was aus.

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Ich finde "nicht wirklich" auch nicht schlimm, aber ich bemühe mich es seltener zu verwenden, seit ich weiß, dass es eigentlich falsch ist. Auch "einmal mehr" finde ich durchaus akzeptabel. Vielleicht bin ich durch häufiges Benutzen der öffentlichen Verkehrsmittel ohne MP3-Player einfach zu sehr abgestumpft *g*.

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Kommentare
Anderthalbfache Unterstützung!
Christl Klein, vor 12 Jahren
Hm, Tempers Kommentar ist ja
schon von 2008 - ich schätze eher nicht, dass...
isabo, vor 13 Jahren
Zettel's Ingo Maurer Hallo,
ich habe Ihren Beitrag zur Zettel's-Lampe gefunden. Da ich sie gerne...
Christiane Thomaßen, vor 13 Jahren
das ist ein hobby
von mir. antizyklisches kommentieren ;)
fabe, vor 13 Jahren
Das hier ist ja
schon eine Weile her. Hihi.
isabo, vor 13 Jahren
hier war ja neulich
stromausfall. menschen sind merkwürdig.
fabe, vor 13 Jahren
endlich endlich setzt jemand ein
Zeichen gegen das ständige Aussterben schöner Wörter! Da bin ich...
federfee, vor 13 Jahren
Lassen Sie doch vielleicht mal
Ihr Assoziationsmodul überprüfen, das spielt ja geradezu verrückt. Das...
isabo, vor 13 Jahren
Oh, vielen Dank!
isabo, vor 14 Jahren
grosses Lob Liebe Isabo,
bin ueber Meike auf Dich gestossen und finde Deine Texte ganz...
LvO, vor 14 Jahren
Der Verein lebe hoch, anderthalb
mal hoch Bin dabei.
Jolen, vor 14 Jahren
Da spricht mir wer aus
der Seele. Ich gebe mir auch schon seit Jahren...
Cuguron, vor 14 Jahren
Ha, wir haben auch nur
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Irene, vor 14 Jahren
Meiner hat mir nur von
dem Smiley auf seiner Krone erzählt. Und ob ich...
strandfynd, vor 14 Jahren
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croco, vor 14 Jahren
das hier geht woanders
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don papp, vor 14 Jahren
Ja. Ich habe aber erstens
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isabo, vor 14 Jahren
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leavesleft, vor 14 Jahren
Gute Entscheidung. Trennung in beruflich
und privat ist unpraktisch (für alle Beteiligten) und wenig...
textundblog, vor 14 Jahren
Jo. Dann.
isabo, vor 14 Jahren
Möchten Sie es wissen?
kinomu, vor 14 Jahren
alles gute und auf nach
drüben!
skizzenblog, vor 14 Jahren
ja ja ja!!! ES geht
es geht es geht!!! (aber halt ohne Editieren, wurscht!)...
g a g a, vor 14 Jahren
Ich GLAUBE, ich habe
das Captcha- Dings jetzt weggemacht. Kannst Du es nochmal veruschen?
isabo, vor 14 Jahren

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