Frau G.
„Wir putzen hier immer mit brauner Seife, das gibt so’n schönen Glanz auf dem Linoleum“, sagt Frau G. zum Abschluss ihrer Erläuterungen darüber, wann und wie oft wir mit Treppeputzen dran sind. Wir wohnen gerade drei Tage in Coesfeld und fangen an, uns zu fürchten.
Und zwar vollkommen zu Unrecht. Frau G. weiß im Gegensatz zu uns zwar immer, wer dran ist, aber wenn wir es vergessen, ruft sie fröhlich: „Macht doch nichts! Ist doch gar nicht schmutzig!“, und lacht. Frau G. ist in das Haus eingezogen, als es gebaut wurde, Ende der fünfziger Jahre. Unsere Wohnung ist frei geworden, weil Herr S. gestorben ist. Herr S. ist gleichzeitig mit Frau G. dort eingezogen, vor über vierzig Jahren. Unter uns wohnt Herrn S.' Tochter mit Mann und zwei Kindern, sie ist in dem Haus geboren und aufgewachsen und nach ihrer Hochzeit ins Erdgeschoss gezogen. Unter Frau G. wohnen R. und B., ebenfalls mit zwei Kindern. R. stammt aus dem Nachbarhaus, beziehungsweise aus dem anderen Eingang des gleichen Hauses. B., seine Frau, ist nicht aus der Gegend, sie kommt aus einem ganz anderen Viertel von Coesfeld! Wir – nun ja, wir werden angemessen bestaunt.
Einmal nimmt Frau G. ein Päckchen für mich an, ich freue mich, oh, Belegexemplare, mein neues Buch! Stolz (immer) zeige ich ihr eins. Toll, sagt sie beeindruckt, das ist jetzt schon das zweite, oder? Nein, sage ich, eher ungefähr das zwanzigste. Wobei das nicht alles dicke Romane waren. Und ob man die dann ganz normal in Büchergeschäften kaufen könne? Ja, sicher. Ich merke, dass sie nach fünf Jahren immer noch nicht so richtig begriffen hat, was ich da eigentlich mache, bitte sie herein und zeige ihr das Regal mit „meinen“ Büchern. Immer ein englisches Original und einmal meine Übersetzung. Ich zeige ihr ein Jugendsachbuch, mit vielen Bildern, weil man da so schön sehen kann, dass es sich um das gleiche Buch handelt, weil alles genau gleich aussieht, nur in unterschiedlichen Sprachen. Ach, das findet sie toll, für die Kinder zum Englischlernen! Äh, nee, sage ich, die Kinder in Deutschland kaufen ja nur das deutsche Buch. Und die Kinder in England nur das englische. Ich fange ganz von vorne an, erkläre ihr, dass da ein Autor in England ein englisches Buch schreibt, das in England verkauft wird, und dass dann ein deutscher Verlag die Rechte kauft … ich glaube, spätestens hier verlässt sie mich.
Der Herr S., unser Vormieter, der hätte ja auch so wahnsinnig viele Bücher gehabt, erzählt sie. Die Bücher kenne ich, es handelt sich um zwei große Koffer voll Reader’s Digest-Heftchen, die immer noch auf unserem Dachboden liegen.
Ich schenke ihr mein Backbuch, sie will es bezahlen, 2,95 € steht dick drauf, und sie ist ganz gerührt, dass ich das Geld nicht möchte. Sie freut sich, als sei Weihnachten.
Einmal ist sie gefallen und ihr Bein schmerzt monatelang, vor allem beim Treppensteigen. Ich sage, dass wir doch die Treppe putzen können, Frau G. ist fast achtzig, da muss sie doch nicht mit schmerzendem Bein die Treppe putzen und wir gucken zu. Nein, das will sie nicht, man muss ja in Bewegung bleiben, sagt sie, und stillsitzen könne sie sowieso nicht, und so schlimm sei das mit dem Bein auch gar nicht. Ich sage ihr auch, sie könne ihr Fahrrad einfach vor der Tür stehen lassen und eben Bescheid sagen, dann trage ich es ihr in den Keller. Sie freut sich, trägt ihr Rad aber immer selbst in den Keller und wieder rauf.
Kurz bevor wir ausziehen sagt sie, sie hätte schon ihrem Sohn Bescheid gegeben, dass er ein paar Tage vor unserem Umzug kommen und ihr die große Pflanze aus dem Treppenhaus in die Wohnung tragen soll, die steht ja sonst nur im Weg, wenn wir da Kisten und Möbel schleppen. Mensch, Frau G, die hätten wir doch wirklich auch selbst wegräumen können, da braucht doch nicht extra Ihr Sohn zu kommen. Ach was, er wohnt ja sowieso um die Ecke, kein Problem. Und wenn wir am Umzugstag noch Kaffee kochen wollten, dann sollten wir doch einfach klingeln und könnten das bei ihr machen.
Tatsächlich kocht sie am Umzugstag ungefragt selbst Kaffee für uns und die Umzugsleute. Und als wir als letzte das Haus verlassen, gibt sie uns ein Geschenk mit – aber erst heute Abend in der neuen Wohnung aufmachen, wenn Ihr alleine seid!
Es sind zwei Piccolos drin und eine Karte mit netten Wünschen für die neue Wohnung. Sie hat extra eine Karte mit Musikinstrumenten ausgesucht. Und wir sollen gesund und munter bleiben. Wo ich doch immer so schnell gerührt bin. Und ich blöde Kuh habe recht bald eine schöne Hamburg-Postkarte für sie gekauft und sie ihr immer noch nicht geschickt. Dabei weiß ich genau, wie sehr sie sich freuen würde.
PS: So ein Zufall: Merlix hatte auch mal eine Nachbarin.
madame n,
12.03.06, 12:35
fix!
ganz, ganz schnell nachholen, das mit der Karte! hinterher tut es einem immer leid und dann is man noch viel gerührter... PS: ich bin genauso ;)
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madame n,
12.03.06, 18:29
ui! wirklich? das freut mich...jeden Tag eine gute...und Sie wissen schon
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Hach ja, das mit dem Gerührtsein...nur zu bekannt....und außerdem danke schön für den "Merker": Bin gerade umgezogen und wollte immernoch eine Karte an meine ehemaligen Nachbarn schicken, ein älteres Ehepaar.....
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Last modified: 06.06.24, 10:52
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Hm, Tempers Kommentar ist ja
schon von 2008 - ich schätze eher nicht, dass...
isabo, vor 13 Jahren
Zettel's Ingo Maurer Hallo,
ich habe Ihren Beitrag zur Zettel's-Lampe gefunden. Da ich sie gerne...
Christiane Thomaßen, vor 13 Jahren
das ist ein hobby
von mir. antizyklisches kommentieren ;)
fabe, vor 13 Jahren
Das hier ist ja
schon eine Weile her. Hihi.
isabo, vor 13 Jahren
hier war ja neulich
stromausfall. menschen sind merkwürdig.
fabe, vor 13 Jahren
endlich endlich setzt jemand ein
Zeichen gegen das ständige Aussterben schöner Wörter! Da bin ich...
federfee, vor 13 Jahren
Lassen Sie doch vielleicht mal
Ihr Assoziationsmodul überprüfen, das spielt ja geradezu verrückt. Das...
isabo, vor 13 Jahren
Oh, vielen Dank!
isabo, vor 14 Jahren
grosses Lob Liebe Isabo,
bin ueber Meike auf Dich gestossen und finde Deine Texte ganz...
LvO, vor 14 Jahren
Der Verein lebe hoch, anderthalb
mal hoch Bin dabei.
Jolen, vor 14 Jahren
Da spricht mir wer aus
der Seele. Ich gebe mir auch schon seit Jahren...
Cuguron, vor 14 Jahren
Ha, wir haben auch nur
Fangen (hieß einfach "fanga") ohne so ein Hintertürchen gespielt....
Irene, vor 14 Jahren
Meiner hat mir nur von
dem Smiley auf seiner Krone erzählt. Und ob ich...
strandfynd, vor 14 Jahren
Bin gerade erst über das
Interview gestolpert - für mich als Auch-Japanisch-Übersetzerin doppelt und...
frenja, vor 14 Jahren
Beide haben Fahnenmasten, der linke
und der rechte Nachbar. Und beide haben die Deutschlandfahnen...
croco, vor 14 Jahren
das hier geht woanders
nicht besser, aber versuch macht kluch...
don papp, vor 14 Jahren
Ja. Ich habe aber erstens
Schimpfe bekommen für dieses wunderschöne, kühle, coole, elegante, heißgeliebte...
isabo, vor 14 Jahren
Sie wissen aber schon,
dass das hier schöner ausschaut?
leavesleft, vor 14 Jahren
Gute Entscheidung. Trennung in beruflich
und privat ist unpraktisch (für alle Beteiligten) und wenig...
textundblog, vor 14 Jahren
Jo. Dann.
isabo, vor 14 Jahren
Möchten Sie es wissen?
kinomu, vor 14 Jahren
alles gute und auf nach
drüben!
skizzenblog, vor 14 Jahren
ja ja ja!!! ES geht
es geht es geht!!!
(aber halt ohne Editieren, wurscht!)...
g a g a, vor 14 Jahren
Ich GLAUBE, ich habe
das Captcha- Dings jetzt weggemacht. Kannst Du es nochmal veruschen?
isabo, vor 14 Jahren
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