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Samstag, 25. März 2006
Wie ich arbeite

Immer wieder werde ich gefragt, wie ich eigentlich arbeite, wie ich vorgehe, wenn ich ein ganzes Buch vor mir habe. Diese Frage beschäftigt mich auch selbst, weil ich mir gelegentlich überlege, ob und wie und wenn ja: warum ich es anders machen könnte.

Phase 1: Sofa, Bett, Badewanne
Erstmal lese ich das Buch. Manche Kollegen tun das nicht, um sich beim Übersetzen die Spannung zu erhalten, aber ich finde, man muss vorher wissen, worauf es hinausläuft, ob sich bestimmte Formulierungen später noch als wichtig erweisen etc.
(Außerdem muss man es natürlich, wenn man den Autor nicht schon kennt, erstmal lesen, um sich überhaupt entscheiden zu können, ob man es übersetzen will und kann.)

Phase 2: Augen zu und durch
Und zwar im Schweinsgalopp. Ich übersetze das komplette Buch so schnell wie möglich runter. Dabei recherchiere ich, was zu recherchieren ist, aber nur, wenn es schnell geht. Was ich nicht sofort finde, lasse ich erstmal liegen. Natürlich übersetze ich dabei schon „so gut wie möglich“, halte mich aber nicht lange auf, wenn mir gerade nichts Passendes einfällt. Wo noch etwas recherchiert werden muss, wo mir eine Formulierung oder ein Wort nicht gefällt, oder wo ich womöglich nicht sicher bin, ob ich das Original richtig verstanden habe, mache ich mir eine Markierung hin. Manchmal schreibe ich auch noch einen kurzen Hinweis dazu, warum dort noch etwas getan werden muss, oder wen ich dazu fragen will.
Am Ende ist das ganze Buch voller Markierungen, oft tatsächlich in jeder einzelnen Zeile.

Phase 3: Die Textor-Phase
Ich fange wieder von vorne an, sinniere länger über Formulierungen, suche einzelne Wörter, recherchiere weiter (manches, was beim ersten Durchgang liegen geblieben ist, hat sich im weiteren Verlauf des Buchs auch von selbst geklärt) etc. Viel Feinarbeit. Einiges bleibt aber immer noch übrig, allerletzte Fragen, Unstimmigkeiten, formulatorische Bretter vorm Kopf etc.

Phase 4: Die Wahrheit
Für den vorletzten Durchgang stelle ich eine andere Schriftart ein, drucke alles aus und setze mich damit an den Esstisch. (Ha! Kühne Behauptung. Tatsächlich wird das mit dem Ausdrucken aus Zeitgründen leider oft in den Bereich „schön wär’s“ verschoben.)
Wenn es anders aussieht, ich es auf einem anderen Medium wahrnehme und in anderer Arbeitsumgebung, sehe ich plötzlich Dinge, die ich vorher nicht gesehen habe. Und: dieser Schritt führt von Wörtern, Sätzen, Details, Fitzeleien wieder zurück zum Text als Gesamtheit. Erst jetzt stelle ich so richtig fest, ob mein Text einen Drive hat, einen Rhythmus, ob er als Text in sich stimmt. Ins Original gucke ich in dieser Phase nur selten, es geht jetzt ums Deutsche.

Phase 5: Aufräumarbeiten, Loslassen
Die auf Papier vorgenommen Korrekturen eingeben, dabei natürlich auch wieder über Anderes stolpern, letzte Fragen klären etc. Und dann muss es auch irgendwann mal gut sein. Ich bin froh, dass ich Abgabetermine habe, sonst würde ich nie fertig, man kann ja bis in alle Ewigkeit an einem Text herumdoktern.

Dass ich erstmal so schnell durch ein Buch rausche, hat zwei Gründe: zum einen glaube ich, dass ich, wenn ich schnell arbeite, besser in den richtigen Ton hineinfinde, als wenn ich mich sofort mit den Details aufhalten würde; weil, siehe oben, ich dann eher einen Text wahrnehme als nur Sätze oder Wörter. Zum anderen komme ich gefühlsmäßig schneller voran. Wenn ich gleich ins Reine übersetzen würde, wäre das Endergebnis zwar vielleicht in der gleichen Zeit fertig, aber ich bin langsamer vorangeschritten, habe weniger Seiten pro Tag geschafft. Es gibt Kollegen, die sofort ins Reine übersetzen, oder ins „fast Reine“. Vielleicht sind das vor allem die, die noch auf der Schreibmaschine angefangen haben, da ging es ja fast nicht anders. Dann gibt es welche, die morgens erstmal das überarbeiten, was sie am Vortag übersetzt haben, und dann weitermachen. Klingt auch nicht schlecht, eigentlich, aber ich habe mich nie dazu durchringen können. Ich will immer erstmal weitermachen, erstmal vorankommen. Deswegen kann ich die Frage, wie viele Seiten ich am Tag schaffe, auch gar nicht recht beantworten: ich kann manchmal (wenn’s pressiert) schon zwanzig Seiten am Tag übersetzen. Aber das ist eine Rohübersetzung, sie ist nicht fertig, längst nicht. Und niemand darf sie sehen, da stehen manchmal schlimme Sachen drin.

Von einer Kollegin weiß ich, dass sie nicht vorne anfängt, sondern irgendwo in der Mitte – wo sie gerade einen guten Einstieg findet. Weil sie sagt, man braucht ein bisschen Anlauf, um den Ton zu finden. Der Autor hat diesen Anlauf womöglich auch gebraucht, und zwar wahrscheinlich am Anfang des Buchs; wenn der Übersetzer dann auch noch nicht richtig „drin“ ist, summiert es sich, und der Anfang wirkt schlimmstenfalls unbeholfen. Also fängt sie in der Mitte an, und wenn sie das Gefühl hat, sie weiß jetzt, wie es läuft, übersetzt sie von vorne. Wenn sie dann an die Stelle kommt, mit der sie begonnen hat, überarbeitet sie sie gleich und macht dann mit dem Ende weiter. Ich habe mir immer vorgenommen, diese Methode mal auszuprobieren, habe es aber doch nie gemacht.

Ach ja, ganz wichtig: vorher Zeitplan aufstellen. Ich bin so veranlagt, dass ich ihn eh nicht einhalte, aber immerhin weiß ich dann, wie viel ich hinterherhinke und wie schlimm es schon ist.

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Last modified: 06.06.24, 10:52
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Kommentare
Anderthalbfache Unterstützung!
Christl Klein, vor 12 Jahren
Hm, Tempers Kommentar ist ja
schon von 2008 - ich schätze eher nicht, dass...
isabo, vor 13 Jahren
Zettel's Ingo Maurer Hallo,
ich habe Ihren Beitrag zur Zettel's-Lampe gefunden. Da ich sie gerne...
Christiane Thomaßen, vor 13 Jahren
das ist ein hobby
von mir. antizyklisches kommentieren ;)
fabe, vor 13 Jahren
Das hier ist ja
schon eine Weile her. Hihi.
isabo, vor 13 Jahren
hier war ja neulich
stromausfall. menschen sind merkwürdig.
fabe, vor 13 Jahren
endlich endlich setzt jemand ein
Zeichen gegen das ständige Aussterben schöner Wörter! Da bin ich...
federfee, vor 13 Jahren
Lassen Sie doch vielleicht mal
Ihr Assoziationsmodul überprüfen, das spielt ja geradezu verrückt. Das...
isabo, vor 13 Jahren
Oh, vielen Dank!
isabo, vor 14 Jahren
grosses Lob Liebe Isabo,
bin ueber Meike auf Dich gestossen und finde Deine Texte ganz...
LvO, vor 14 Jahren
Der Verein lebe hoch, anderthalb
mal hoch Bin dabei.
Jolen, vor 14 Jahren
Da spricht mir wer aus
der Seele. Ich gebe mir auch schon seit Jahren...
Cuguron, vor 14 Jahren
Ha, wir haben auch nur
Fangen (hieß einfach "fanga") ohne so ein Hintertürchen gespielt....
Irene, vor 14 Jahren
Meiner hat mir nur von
dem Smiley auf seiner Krone erzählt. Und ob ich...
strandfynd, vor 14 Jahren
Bin gerade erst über das
Interview gestolpert - für mich als Auch-Japanisch-Übersetzerin doppelt und...
frenja, vor 14 Jahren
Beide haben Fahnenmasten, der linke
und der rechte Nachbar. Und beide haben die Deutschlandfahnen...
croco, vor 14 Jahren
das hier geht woanders
nicht besser, aber versuch macht kluch...
don papp, vor 14 Jahren
Ja. Ich habe aber erstens
Schimpfe bekommen für dieses wunderschöne, kühle, coole, elegante, heißgeliebte...
isabo, vor 14 Jahren
Sie wissen aber schon,
dass das hier schöner ausschaut?
leavesleft, vor 14 Jahren
Gute Entscheidung. Trennung in beruflich
und privat ist unpraktisch (für alle Beteiligten) und wenig...
textundblog, vor 14 Jahren
Jo. Dann.
isabo, vor 14 Jahren
Möchten Sie es wissen?
kinomu, vor 14 Jahren
alles gute und auf nach
drüben!
skizzenblog, vor 14 Jahren
ja ja ja!!! ES geht
es geht es geht!!! (aber halt ohne Editieren, wurscht!)...
g a g a, vor 14 Jahren
Ich GLAUBE, ich habe
das Captcha- Dings jetzt weggemacht. Kannst Du es nochmal veruschen?
isabo, vor 14 Jahren

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