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Dienstag, 21. August 2007
Stettin

Vier Wochen vorher musste mein Vater überraschend ins Krankenhaus. Gleich zwei Operationen, eine davon ein neues Kniegelenk. Nun mag man es für keine gute Idee halten, mit Krücken auf ein historisches Schiff zu wollen, aber das ficht ihn nicht an. Er beschließt von Anfang an, dass es schon gehen wird, und legt seine Reha-Kur nach St. Peter Ording, damit es nicht so weit nach Hamburg ist.

Er scheint recht unempfindlich gegen Schmerz zu sein. Es nervt ihn ein bisschen, dass er auf Krücken laufen muss, und er sieht es offenbar überhaupt nicht ein, sich davon einschränken zu lassen. Es geht ein bisschen langsam, aber er schafft es die steilen Treppen hoch. Wir sitzen auf dem Oberdeck, und ich denke, schade, er wird sich den Maschinenraum und die Brücke gar nicht angucken können. Dabei hätte es ihn so interessiert. Ich dumme, besorgte Tochter. Selbstverständlich geht er sich die Brücke angucken, ist ja nur noch eine Treppe hoch. Und wieder runter. Ich gehe auch ein bisschen rum, finde den Abstieg in den Maschinenraum, sehe, dass die Treppen dort noch steiler sind, außerdem gibt es keinen festen Boden, sondern man läuft über ein Gitter. Schade, denke ich wieder, das geht nun wirklich nicht mit Krücken. Ich schaue hinunter und sehe seinen Haarschopf.

Ich bin hin und her gerissen zwischen Ärger, dass er so unvernünftig ist, Bewunderung, dass er sich einfach nicht einschränken lässt, und Rührung darüber, dass sein Interesse und seine Begeisterung größer sind als Anstrengung und Schmerz und Eingeschränktheit. Ich will gar nicht sehen, wie er da wieder hochkommt, außerdem will ich meinen Fotoapparat holen. Als ich wiederkomme, ist er nicht mehr da. Ich frage ein Besatzungsmitglied, wo er ist, der ältere Herr mit den Krücken, der ist schon wieder weg, sagt er, dann ist es wohl gutgegangen, frage ich, ja, sagt er, wir haben ihm Hilfe angeboten, aber er meinte, das geht schon. Überhaupt war die Besatzung, bis auf den etwas ruppigen Kapitän, ausgesprochen freundlich und hilfsbereit.

Der Nord-Ostseekanal ist, ehrlich gesagt, ein bisschen öde. Man sieht nämlich nichts außer Bäumen und Büschen. Und der längsten Sitzbank der Welt, 500 m lang. Aber es ist total nett. Ich sitze mit meinen Eltern und dem Mann an Deck, wir halten Schwätzchen, lesen ein bisschen, laufen auf dem Schiff herum, essen was, trinken was, und dann wieder von vorn. Zwölf Stunden lang. Am meisten auf dem Schiff unterwegs ist mein Vater. Wenn er nicht rumläuft, studiert er die Karte, erzählt uns, wo wir gerade sind, was hinter den Bäumen und Büschen liegt, wie viel Kohle der Dampfer auf dem Kanal und wie viel auf der Elbe verbraucht undsoweiter. Er braucht kein Buch und keine Zeitung, es ist alles viel zu interessant. Und, fragt er am Ende, seid Ihr zufrieden? Ich fand’s sehr schön, sage ich, aber das ist ja gar nicht die Frage, die Frage ist, ob Du zufrieden bist, es ist ja Dein Geschenk. Ja, sagt er, ich fand’s auch schön. Viel mehr Begeisterung wird man nicht aus ihm herauskriegen, aber ich weiß es auch so, ich kenne ihn lang genug.

Als wir in Hamburg einlaufen, gehe ich mit dem Mann aufs alleroberste Deck, über der Brücke, wo man nur über eine kleine Leiter hinkommt. Es ist schon dunkel, vor uns liegt das glitzernde Hamburg. Es geht ein ordentlicher Wind da oben, wir sehen das Airbus-Werk und die erleuchteten Fenster der Villen in Blankenese, der Hafen kommt näher, und uns geht mal wieder das Herz auf.

Und mir geht das Herz auf, wenn ich so was lesen darf. Sehr süß, danke.

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Last modified: 06.06.24, 10:52
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Kommentare
Anderthalbfache Unterstützung!
Christl Klein, vor 12 Jahren
Hm, Tempers Kommentar ist ja
schon von 2008 - ich schätze eher nicht, dass...
isabo, vor 13 Jahren
Zettel's Ingo Maurer Hallo,
ich habe Ihren Beitrag zur Zettel's-Lampe gefunden. Da ich sie gerne...
Christiane Thomaßen, vor 13 Jahren
das ist ein hobby
von mir. antizyklisches kommentieren ;)
fabe, vor 13 Jahren
Das hier ist ja
schon eine Weile her. Hihi.
isabo, vor 13 Jahren
hier war ja neulich
stromausfall. menschen sind merkwürdig.
fabe, vor 13 Jahren
endlich endlich setzt jemand ein
Zeichen gegen das ständige Aussterben schöner Wörter! Da bin ich...
federfee, vor 13 Jahren
Lassen Sie doch vielleicht mal
Ihr Assoziationsmodul überprüfen, das spielt ja geradezu verrückt. Das...
isabo, vor 13 Jahren
Oh, vielen Dank!
isabo, vor 14 Jahren
grosses Lob Liebe Isabo,
bin ueber Meike auf Dich gestossen und finde Deine Texte ganz...
LvO, vor 14 Jahren
Der Verein lebe hoch, anderthalb
mal hoch Bin dabei.
Jolen, vor 14 Jahren
Da spricht mir wer aus
der Seele. Ich gebe mir auch schon seit Jahren...
Cuguron, vor 14 Jahren
Ha, wir haben auch nur
Fangen (hieß einfach "fanga") ohne so ein Hintertürchen gespielt....
Irene, vor 14 Jahren
Meiner hat mir nur von
dem Smiley auf seiner Krone erzählt. Und ob ich...
strandfynd, vor 14 Jahren
Bin gerade erst über das
Interview gestolpert - für mich als Auch-Japanisch-Übersetzerin doppelt und...
frenja, vor 14 Jahren
Beide haben Fahnenmasten, der linke
und der rechte Nachbar. Und beide haben die Deutschlandfahnen...
croco, vor 14 Jahren
das hier geht woanders
nicht besser, aber versuch macht kluch...
don papp, vor 14 Jahren
Ja. Ich habe aber erstens
Schimpfe bekommen für dieses wunderschöne, kühle, coole, elegante, heißgeliebte...
isabo, vor 14 Jahren
Sie wissen aber schon,
dass das hier schöner ausschaut?
leavesleft, vor 14 Jahren
Gute Entscheidung. Trennung in beruflich
und privat ist unpraktisch (für alle Beteiligten) und wenig...
textundblog, vor 14 Jahren
Jo. Dann.
isabo, vor 14 Jahren
Möchten Sie es wissen?
kinomu, vor 14 Jahren
alles gute und auf nach
drüben!
skizzenblog, vor 14 Jahren
ja ja ja!!! ES geht
es geht es geht!!! (aber halt ohne Editieren, wurscht!)...
g a g a, vor 14 Jahren
Ich GLAUBE, ich habe
das Captcha- Dings jetzt weggemacht. Kannst Du es nochmal veruschen?
isabo, vor 14 Jahren

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