Die lange Nacht der Museen, oder: isabo versteht keine Kunst
Erste Station: Deichtorhallen, Ausstellung von Erwin Wurm.
Kategorie: lustig.
Das erste, was ich mal wieder feststelle, ist, dass es mit meinem Kunstverständnis nicht weit her ist, es reicht üblicherweise so weit, dass ich die dargebotene Kunst in „schön“, „nicht schön“, „interessant“ und „lustig“ kategorisiere. Erwin Wurm ist lustig.
Fotos von Leuten mit falsch angezogenen Klamotten, die Beine durch Pulloverärmel, zwei dünne Frauen mit jeweils beiden Beinen durch ein Beinloch einer riesigen Männerunterhose, so was halt. Zwei Leute, die sich gegenüberstehen und zwischen ihren Körpern drei Aktentaschen festgeklemmt haben. Ich verstehe das nicht, zehn Apfelsinen zwischen zwei Körpern festhalten ist eine prima Koordinationsübung, damals im Sportunterricht haben wir dafür Bälle genommen, und Klamotten falsch anziehen haben wir als Kinder mit den Sachen aus der Verkleidungskiste gemacht. Keine Ahnung, was der Künstler mit diesen Fotos sagen will, geht es um das Aufbrechen von Konventionen oder so? Vielleicht will er auch nichts sagen, vielleicht soll es nur lustig sein. Ein dickes Auto und ein dickes Haus, das verstehe ich, das habe ich nämlich vorher gelesen: hier werden Schlankheitswahn, Fettsucht und Konsumdings angeprangert. Jenun.
Dann: herumliegende und an den Wänden lehnende Resopal-Platten, teilweise mit Löchern drin, und mit kleinen handschriftlichen Anweisungen in Filzstift: stellen Sie sich hinter die Platte und stecken sie einen Arm durch das Loch. Lehnen Sie sich mit der Stirn an die Platte an denken Sie an Derrida. Zum Mitmachen, das ist lustig. Ich verstehe es aber erst, als ein T-Shirt im Museumsshop mich mit der Nase drauf stößt. Keine Ahnung, warum ich das Shirt nicht gekauft habe, blöd, es zeigt die Zeichnung eines Mannes, der in der Nase bohrt, und darunter steht: stick a finger up your nose and become a sculpture. Erst als ich das lese, verstehe ich diese Mitmachdinger, aha, man wird also selbst zur Kunst. Ächz, das ist so offensichtlich, da hätte ich nun wirklich mal selbst drauf kommen können. Zweite Station: Gruner und Jahr, World Press Foto.
Kategorie: interessant, und zwar sehr.
Großartig. Großartige Bilder natürlich, wunderschön teilweise, und teilweise so, dass ich die Tränen runterschlucken muss. Bilder aus einer psychiatrischen Klinik im Kongo, Kriegstraumatisierte in Einzelzellen, ein neunjähriges Mädchen, das sich für einen Dollar prostituiert, ein toter Säugling, Verzweifelte, Tote, Verletzte. Ich wäre gern länger geblieben, aber die Freunde warten schon. So was macht man wohl besser in Ruhe. Dritte Station: Kap San Diego
Kategorie: Schiffe sind immer gut.
Wir sind da, um erstmal unseren Hunger zu stillen, es gibt Steakbrötchen, wir laufen ein bisschen auf dem Schiff herum und beschließen dann, „wo wir schon mal da sind“, auch die Auswandererausstellung im Schiffsbauch anzuschauen. Das ist schnell erledigt, sie besteht hauptsächlich aus großen Erklär-Tafeln, nicht gerade spannend gemacht, da kann man ebenso gut ein Buch lesen. Auf der Toilette hängt ein Schild: "Bitte werfen Sie nichts in die Toilette, was Sie nicht vorher verzehrt haben." Vierte Station: Museum für Kunst und Gewerbe
Kategorie: von allem etwas.
Es ist unerträglich heiß und schlechte Luft. Wir stolpern einmal durch die „Diven“-Fotos, wunderschöne Bilder, von Josephine Baker bis Romy Schneider, dann durch ein paar Möbel, sind ein bisschen unschlüssig, was wir tun wollen, erstmal raus aus dieser Luft, und zwar durch die Jugendstilabteilung, dann brauchen alle Bier. Fünfte Station: Galerie der Gegenwart
Kategorie: wir können nicht mehr.
Erstmal ein Bier draußen vor der Galerie, gemütlich an der großen Straße, egal, es ist Sommer, man kann um elf noch draußensitzen und wir haben Blick auf die Binnenalster. Im Museum gibt es ein paar schöne Sachen, verkehrtrum unter der Decke hängende, alte Schreibmaschinen zum Beispiel, bei denen (elektrisch, glaube ich) jeweils eine Taste angeschlagen wird, sodass sich ein flotter Rhythmus aus Scheibmaschinengeklapper ergibt. Unten drunter hängt eine Art Pendel oder Dirigierstab, ich finde das hübsch und lustig; verstehen tue ich es natürlich nicht. Bestimmt gab es irgendwo eine Erklärung, dafür war ich aber schon zu schwach.
Ich wäre gern länger geblieben, aber die Begleiter sind mal wieder schneller und warten. Und wollen noch („wo wir schon mal da sind“) in die Sonderausstellung von Daniel Richter, die uns allen den Rest gibt. Kategorie diesmal eindeutig: nicht schön. Überhaupt gar nicht schön, im Gegenteil, scheußlich, ich möchte sagen: geschmacklos. Riesige Gemälde, quietschbunt und bedrohlich, sich aufbäumende Pferde, verzerrte Gesichter, ausgehöhlte Menschen, wie Tote in grellbunt, das ist alles ganz außerordentlich hässlich. Wahrscheinlich ist wieder nur mein nicht vorhandenes Kunstverständnis schuld, leider war niemand Verständigeres dabei, ein Hilferuf von unterwegs („kannst Du bitte kommen und uns Kunst erklären?“) blieb erfolglos. Und so zeige ich den Anderen, dass ich auch schnell durch eine Ausstellung flitzen kann, diesmal galoppiere ich vorweg, wir sind alle ganz fassungslos und froh, als es vorbei ist.
Wir haben um sieben angefangen, jetzt ist es zwölf, nichts geht mehr. Ich kann nicht mehr, ich auch nicht, bis demnächst, tschüss, gute Nacht.
Gerne nächstes Jahr wieder, es war ein sehr schöner Abend in netter Gesellschaft.
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(28 Kommentare)
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Last modified: 06.06.24, 10:52
Sie sind nicht angemeldet
Hm, Tempers Kommentar ist ja
schon von 2008 - ich schätze eher nicht, dass...
isabo, vor 13 Jahren
Zettel's Ingo Maurer Hallo,
ich habe Ihren Beitrag zur Zettel's-Lampe gefunden. Da ich sie gerne...
Christiane Thomaßen, vor 13 Jahren
das ist ein hobby
von mir. antizyklisches kommentieren ;)
fabe, vor 13 Jahren
Das hier ist ja
schon eine Weile her. Hihi.
isabo, vor 13 Jahren
hier war ja neulich
stromausfall. menschen sind merkwürdig.
fabe, vor 13 Jahren
endlich endlich setzt jemand ein
Zeichen gegen das ständige Aussterben schöner Wörter! Da bin ich...
federfee, vor 13 Jahren
Lassen Sie doch vielleicht mal
Ihr Assoziationsmodul überprüfen, das spielt ja geradezu verrückt. Das...
isabo, vor 13 Jahren
Oh, vielen Dank!
isabo, vor 14 Jahren
grosses Lob Liebe Isabo,
bin ueber Meike auf Dich gestossen und finde Deine Texte ganz...
LvO, vor 14 Jahren
Der Verein lebe hoch, anderthalb
mal hoch Bin dabei.
Jolen, vor 14 Jahren
Da spricht mir wer aus
der Seele. Ich gebe mir auch schon seit Jahren...
Cuguron, vor 14 Jahren
Ha, wir haben auch nur
Fangen (hieß einfach "fanga") ohne so ein Hintertürchen gespielt....
Irene, vor 14 Jahren
Meiner hat mir nur von
dem Smiley auf seiner Krone erzählt. Und ob ich...
strandfynd, vor 14 Jahren
Bin gerade erst über das
Interview gestolpert - für mich als Auch-Japanisch-Übersetzerin doppelt und...
frenja, vor 14 Jahren
Beide haben Fahnenmasten, der linke
und der rechte Nachbar. Und beide haben die Deutschlandfahnen...
croco, vor 14 Jahren
das hier geht woanders
nicht besser, aber versuch macht kluch...
don papp, vor 14 Jahren
Ja. Ich habe aber erstens
Schimpfe bekommen für dieses wunderschöne, kühle, coole, elegante, heißgeliebte...
isabo, vor 14 Jahren
Sie wissen aber schon,
dass das hier schöner ausschaut?
leavesleft, vor 14 Jahren
Gute Entscheidung. Trennung in beruflich
und privat ist unpraktisch (für alle Beteiligten) und wenig...
textundblog, vor 14 Jahren
Jo. Dann.
isabo, vor 14 Jahren
Möchten Sie es wissen?
kinomu, vor 14 Jahren
alles gute und auf nach
drüben!
skizzenblog, vor 14 Jahren
ja ja ja!!! ES geht
es geht es geht!!!
(aber halt ohne Editieren, wurscht!)...
g a g a, vor 14 Jahren
Ich GLAUBE, ich habe
das Captcha- Dings jetzt weggemacht. Kannst Du es nochmal veruschen?
isabo, vor 14 Jahren
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