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Freitag, 4. März 2005
Loreley

Bov hat so wunderbare deutsche Restaurants in Amerika verlinkt – da fällt mir ein, wie ich mal in Tokyo in der Loreley war.

I. War jung, brauchte das Geld

Ich hatte diesen unfassbaren Job in einem Privatkindergarten. Einmal die Woche fuhr ich mittags nach meiner Japanischschule in diesen Kindergarten weit außerhalb Tokyos, offiziell als Englisch-und-vielleicht-ein-bisschen-Deutsch-Lehrerin – tatsächlich war es aber so, dass die Besitzer des Kindergartens einfach Kontakt zu einer Deutschen haben wollten; zum Einen, weil sie aus zweifelhaften Gründen Deutschland-Fans waren, zum Anderen, weil ihr ältester Sohn für ein Jahr in Deutschland war.
Wenn ich gegen Mittag dort ankam, bekam ich erstmal etwas zu Essen im Büro und machte Smalltalk mit dem Besitzerehepaar. Bis ich damit fertig war, lagen die Kinder oft schon in den Betten und hielten ihren Mittagsschlaf – dann fuhr ich halt unverrichteter Dinge wieder nach Hause. Oder ich durfte dem zweiten Sohn Deutschunterricht geben, was pretty much die Hölle war, der Junge war nämlich strunzdumm. Der Smalltalk mit den Besitzern lief meistens darauf hinaus, dass sie von ihren deutschen Freunden oder dem Sohn in Deutschland erzählten, sprich, mich damit zu beeindrucken versuchten, dass dieser eine deutsche Freund beispielsweise in der Waffen-SS gewesen sei, oder dass auf der Liste der Klassenkameraden des Sohnemanns auf einem Schön-Reich-und-Wichtig-Internat so viele Adelstitel standen. Ob ich das nicht toll fände? Nö, wieso? Na, also in Japan sei Adel etwas besonderes, wurde ich aufgeklärt. Aha.
Kurz: ich fuhr einmal die Woche für eine gute Stunde dorthin, machte meist nichts als ein bisschen topdumme Konversation und verdiente damit so viel Geld, dass es für die Miete reichte. Da fragt man nicht lange.
In den Weihnachtsferien kam der berühmte Koichi nach Hause. Und siehe da: er fand es schrecklich auf diesem Internat in Deutschland! Er wurde gehänselt! Keiner hatte ihn lieb! Am Ende der Weihnachtsferien wurde ich gezwungen, in dieser Schule anzurufen und zu behaupten, der Junge habe sich beim Skifahren das Bein gebrochen und käme erstmal nicht. Etwas später, ja genau, musste ich wieder anrufen und verkünden, dass er nu gar nicht mehr wiederkommt. Ich hab der Sekretärin am Telefon dann mal die Wahrheit gesagt, hat ja eh keiner verstanden und mir war’s zu blöd.
Fortan wurde nicht mehr so getan, als sei ich als Englischlehrerin für die Kindergartenkinder dort, sondern ich musste gleich mit Koichi Deutschunterricht machen. Überraschenderweise war er ebenso blöd wie sein kleiner Bruder. Und hörte nicht auf, mich zu bitten, wenn ich mal abends mit Freunden ausginge, möge ich ihn doch mal mitnehmen.

II. Deutscher Abend

Er hat es nicht anders gewollt! Wir schleppten ihn also in die Loreley. Er und drei deutsche Frauen, zwei davon über 1,80 groß. Erklärtes Ziel des Abends: nie wieder Koichi mitnehmen müssen. Ich bin den Mädels heute noch dankbar. Wir haben alles gegeben: Ich hatte mir Zöpfe geflochten, was vermutlich reichlich albern aussah, und trug ein adrettes Röckchen. Meine Freundin E. hatte sich tatsächlich in ein großgeblümtes Laura-Ashley-Kleid mit Puffärmeln geworfen. In der Loreley waren natürlich nur Japaner, es war brechend voll, der Besitzer Japaner, die Kellnerinnen Japanerinnen im Dirndl. An der hinteren Wand war ein riesiges Wandgemälde, unten der Rhein, rechts türmte sich der Felsen, und oben druff saß SIE mit güldenem Haar und einem veritablen Strahlenkranz um sich herum. Vor diesem Gemälde standen Fredl und Richie aus Österreich, bekannt aus Funk und Fernsehen, mit Keyboard und Akkordeon, und machten Musik. Und waren in höchstem Maße entzückt, uns zu sehen, blonde Haare und große Nasen! Sobald sie Pause hatten, verkumpelten wir uns, sie klagten uns ihr Leid, seit zwei Jahren in Tokyo, noch nichts gesehen von der Stadt, kein Wort Japanisch, Englisch auch eher schlecht, jeden Abend Mucke, gerade mal in der Lage, im Supermarkt einzukaufen. Erstaunlich eigentlich, dass sie dabei so gut drauf waren. Nur seien die Japaner immer so schwer in Stimmung zu bringen. Mit Ausnahme dieses einen da hinten, der im Trachtenjanker, der immer so schön „ein Prosit der Gemütlichkeit“ und so was mitsang, und der prompt auch gleich zu uns kam und uns beifallheischend erzählte, dieses geschmacklose Wandgemälde sei sein Werk.
In unserer unendlichen Güte befanden wir, es sei nicht mit anzusehen, dass die Japaner so schwer in Gang kommen, wo Fredl und Richie, bekannt aus Funk und Fernsehen, sich doch solche Mühe gaben. Und so fingen wir bei nächster Gelegenheit an zu tanzen. Walzer, quer durch den Saal. Und Polka. Und dann nicht mehr nur miteinander, wir zogen die Japaner von den Stühlen und zwangen sie, mit uns riesengroßen, gelbhaarigen Langnasen zu walzern. Wir haben eine Polonaise gestartet, alle von den Stühlen gezerrt, die ganze Schlange aus dem Laden raus, einmal um die Straßenlaterne herum und wieder rein geführt, was ein großes Kuddelmuddel in der Tür gab, das war ein Hallo, die Stimmung kochte, wir waren die Helden des Abends! Der Wirt war glücklich, Fredl und Richie, bekannt aus Funk und Fernsehen, waren glücklich, der Trachtenjankerjapaner war glücklich, wir hatten mächtig Spaß, und Koichi, der ja nun wusste, wie sich junge Menschen in Deutschland normalerweise verhalten, wäre gerne gestorben vor Scham.
Was soll ich sagen: Ziel erreicht, er wollte nie wieder mit.

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Mein Arbeitsplatz

in der nächtlichen Bibliothek.

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Noch mehr Fotos

Kennt hier wahrscheinlich schon jeder außer mir, ich habs gerade erst entdeckt: Herr axelk macht unfassbar schöne Bilder. Kann gar nicht mehr aufhören. (Blättern geht mit Aufsbildklicken.)
Das zum Beispiel, oder das, oder dieses hier, oder jedes beliebige andere, sensationell.

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Last modified: 09.12.13, 22:30
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Kommentare
Anderthalbfache Unterstützung!
Christl Klein, vor 11 Jahren
Hm, Tempers Kommentar ist ja
schon von 2008 - ich schätze eher nicht, dass...
isabo, vor 12 Jahren
Zettel's Ingo Maurer Hallo,
ich habe Ihren Beitrag zur Zettel's-Lampe gefunden. Da ich sie gerne...
Christiane Thomaßen, vor 12 Jahren
das ist ein hobby
von mir. antizyklisches kommentieren ;)
fabe, vor 12 Jahren
Das hier ist ja
schon eine Weile her. Hihi.
isabo, vor 12 Jahren
hier war ja neulich
stromausfall. menschen sind merkwürdig.
fabe, vor 12 Jahren
endlich endlich setzt jemand ein
Zeichen gegen das ständige Aussterben schöner Wörter! Da bin ich...
federfee, vor 12 Jahren
Lassen Sie doch vielleicht mal
Ihr Assoziationsmodul überprüfen, das spielt ja geradezu verrückt. Das...
isabo, vor 13 Jahren
Oh, vielen Dank!
isabo, vor 13 Jahren
grosses Lob Liebe Isabo,
bin ueber Meike auf Dich gestossen und finde Deine Texte ganz...
LvO, vor 13 Jahren
Der Verein lebe hoch, anderthalb
mal hoch Bin dabei.
Jolen, vor 13 Jahren
Da spricht mir wer aus
der Seele. Ich gebe mir auch schon seit Jahren...
Cuguron, vor 13 Jahren
Ha, wir haben auch nur
Fangen (hieß einfach "fanga") ohne so ein Hintertürchen gespielt....
Irene, vor 13 Jahren
Meiner hat mir nur von
dem Smiley auf seiner Krone erzählt. Und ob ich...
strandfynd, vor 13 Jahren
Bin gerade erst über das
Interview gestolpert - für mich als Auch-Japanisch-Übersetzerin doppelt und...
frenja, vor 14 Jahren
Beide haben Fahnenmasten, der linke
und der rechte Nachbar. Und beide haben die Deutschlandfahnen...
croco, vor 14 Jahren
das hier geht woanders
nicht besser, aber versuch macht kluch...
don papp, vor 14 Jahren
Ja. Ich habe aber erstens
Schimpfe bekommen für dieses wunderschöne, kühle, coole, elegante, heißgeliebte...
isabo, vor 14 Jahren
Sie wissen aber schon,
dass das hier schöner ausschaut?
leavesleft, vor 14 Jahren
Gute Entscheidung. Trennung in beruflich
und privat ist unpraktisch (für alle Beteiligten) und wenig...
textundblog, vor 14 Jahren
Jo. Dann.
isabo, vor 14 Jahren
Möchten Sie es wissen?
kinomu, vor 14 Jahren
alles gute und auf nach
drüben!
skizzenblog, vor 14 Jahren
ja ja ja!!! ES geht
es geht es geht!!! (aber halt ohne Editieren, wurscht!)...
g a g a, vor 14 Jahren
Ich GLAUBE, ich habe
das Captcha- Dings jetzt weggemacht. Kannst Du es nochmal veruschen?
isabo, vor 14 Jahren

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