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Helgoland

Irgendwo ins grüne Meer
hat ein Gott mit leichtem Pinsel
lächelnd, wie von ungefähr,
einen Fleck getupft: die Insel.

(James Krüss)

Es war schon wieder alles perfekt. Auf der Hinfahrt wechselhaftes Wetter, es schaukelte auch ein wenig, grau, Regen, blau, Sonne, grau, Regen, aber da hinten war es schon viel heller. Und auf der Insel war das Wetter dann okay, und wir wurden so freundlich empfangen, und die ganze Insel ist ja so klein, dass man, wenn man erst einmal dort war und zum zweiten Mal hinkommt, schon meint, man käme nach Hause. Wir sind aufs Oberland gegangen, einmal zwischen den Häusern durch, raus auf das Hochplateau, zur langen Anna und dem Lummenfelsen. Es hat ordentlich geweht, und es waren keine Vögel dort, keine Trottellummen und keine Basstölpel, ich dachte, sie sind dort immer, aber das stimmt nicht, sie leben draußen auf dem Meer und kommen nur zum Brüten und zur Aufzucht der Jungen an den Felsen. Ornithologen hingegen waren reichlich da, mit großen Stativen und langen Fernrohren, stundenlang sitzen sie still, bis ihr Walkie Talkie knackt und jemand durchsagt, wo der Blauschwanzirgendwas gerade ist. Der Blauschwanzirgendwas lebt normalerweise in Sibirien und ist irgendwie mit Stürmen und dem falschen Wind abgetrieben und auf Helgoland gelandet, ein einzelnes Tier. Seinetwegen sind alle hier, um ihn einmal zu sehen. Ich nehme an, er lacht sich kaputt, wenn er sie alle mit ihren Stativen ankommen sieht, und fliegt munter auf die andere Inselseite. Jedenfalls möchte ich das annehmen. In Wahrheit wird er irgendwann an Heimweh und Einsamkeit sterben, zurückfinden wird er nicht.
Abends gingen wir in die Sauna und etwas essen und einen Cocktail trinken und hatten nette Gesellschaft, und das Leben war gut.

Am nächsten Morgen schien die Sonne, es war strahlend blauer Himmel, Dünenwetter. Es war ordentlich Seegang, das Bötchen zur Düne schaukelte ziemlich, Gischt stob uns an. Meer, Sonne, Wind, Wellen, es braucht so wenig. Wir gingen einmal rund um die Düne, sahen Kegelrobben und Seehunde, aßen Hummersuppe im Dünenrestaurant, schauten in die Sonne und aufs Meer, und das Leben war gut.

Auf dem Friedhof der Namenlosen liegen die begraben, die tot auf Helgoland angespült wurden, Menschen, die niemand kennt, von denen niemand weiß, woher sie kommen, und von denen zu Hause niemand weiß, wohin es sie getrieben hat.

Ihr Namenlosen im weißen Sand,
den Nordseewogen umbranden,
wie kamt ihr hier an diesen Strand
aus welchen fernen Landen?

Ihr hattet Euch dem Meer vertraut,
zur Heimat kehret ihr nimmer.
Um Euch ist manches Haupt ergraut,
verschollen seid Ihr für immer.

Und floss auch keine Träne hier,
ertönte kein Trauergesang,
stehn doch in stummen Schauern wir,
bedrückt ist das Herz und bang.

Doch ruht ihr. Vielleicht wär herberes Los
Euch sonst noch auf Erden beschieden.
Vom Meer umtost in der Düne Schoß
ruht Ihr heimatlos, aber in Frieden.

Bei so einem Wind tränen mir immer die Augen.

Am Abend gab der Mann im Aquariumscafé ein kleines Konzert, hauptsächlich Lieder, die von der Seefahrt handeln, vom Walfang, vom Meer, von der Sehnsucht nach der Liebsten auf der anderen Seite des Meeres, vom Heimweh und vom Old Figurehead Carver.

While my hands are steady
While my eyes are good
I will carve the music
Of the wind into the wood.

(Hier von Alistair Brown)

Die Leute haben zugehört und sich gefreut, wir hatten nette Gesellschaft und gute Getränke („Helgoländer“: Grüner und durchsichtiger Schnaps, rote Grenadine, möglicherweise eines der widerlichsten Getränke aller Zeiten), und einer hatte Geburtstag und das Leben war gut.

Am nächsten Tag herrschte Windstärke acht, kurz ging das Gerücht, der Katamaran fahre nicht, wir hofften schon, wir müssten einen Tag länger bleiben. War aber leider Fehlalarm. Wir drehten eine Abschiedsrunde, kauften Schokolade und Bücher von James Krüss und besuchten kurz die Untergroßmutter. Die jetzige Untergroßmutter. Jedenfalls ist sie Großmutter und wohnt auf dem Unterland, ich weiß nicht, ob sie Untergroßmutter genannt werden möchte, die Schwester von James Krüss.
Wir haben keine Bunkerführung gemacht und keine naturkundliche Führung, wir waren nicht im Aquarium, nicht in der biologischen Anstalt, nicht auf der Wetterstation, wir waren nicht im Schwimmbad und nicht im Museum, die Trottellummen und Basstölpel waren nicht da, und wir haben den Blauschwanzirgendwas nicht gesehen. Wir müssen dringend bald wieder hin.
Auf der Rückfahrt war immer noch Windstärke acht, es gab in der ersten Stunde keinen Service an Bord, nur Tüten wurden verteilt, aber wir, wir hatten Gummibärchen und waren nicht seekrank und machten, wenn es schaukelte, leise Jippie.

(Mehr Fotos. Mehr Helgoland im Blog: eins, zwei)

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Von der christlichen Seefahrt

Der Katamaran fliegt über die See,
Gischt schäumt um den Bug wie Flocken von Schnee,
von Hamburg fliegt er nach Helgoland,
die Herzen aber sind voll bis zum Rand.

Der Halunder Jet legt von den Landungsbrücken ab und prescht in beeindruckendem Tempo los. Laut Wetterbericht soll es Sturm geben, Henrike jault schon mal vorauseilend, sie würde bestimmt seekrank. Tatsächlich ist aber kaum Wind, bei der Abfahrt nieselt es ein wenig, hört aber gleich wieder auf. Und noch vier volle Stunden bis Helgoland. Ich freue mich, nach dem Ärger der Tage davor kann ich das Meer gebrauchen, ich stehe am Heck des Schiffs draußen und lasse mich durchpusten. Die See ist ruhig, nach und nach reißt der Himmel auf, die Sonne kommt raus, und ich lasse meinen Kummer an Land. Wie das Meer das wohl macht. Wenn ich schlecht drauf bin, wenn ich Kummer habe oder Herzschmerz, dann bringt mich ans Meer, und wenn keins da ist, an irgendein anderes Wasser, es funktioniert immer.
Von wegen Sturm, es ist herrliches Wetter. Die PR-Dame der Betreibergesellschaft nimmt uns mit auf die Brücke, Henrike fragt, ob wir auch mal steuern dürfen, und aus irgendeinem Grund habe schließlich ich die Hand auf dem Steuerknüppel. Wahrscheinlich habe ich mich schamlos vorgedrängelt. Der Kapitän hat vorher ein Knöpfchen gedrückt, jaha, sage ich, jetzt haben Sie den Autopiloten eingeschaltet, und ich soll mir einbilden, das Schiff zu steuern? Nein, sagt er, im Gegenteil, ich habe den Autopiloten ausgeschaltet, sehen Sie: er legt seine Hand auf meine und schiebt den Steuerknüppel bis zum Anschlag nach rechts, und das Schiff macht einen wilden Schlenker. Ich dachte, so ein Schiff reagiert langsamer, aber der Katamaran hat ordentlich Fahrt drauf. Der Kapitän schiebt den Steuerknüppel nach links, das Schiff zieht nach links, ich glaube, es gefällt ihm, seine Hand auf meiner zu haben, aber dann nimmt er sie doch weg und sagt: jetzt fahren Sie mal dem weißen Schiff da vorne hinterher. Und ich Trottel gucke auf das weiße Schiff und versuche, ihm mit dem Katamaran hinterherzufahren, statt dass ich auf den Radar gucke, das wäre wahrscheinlich einfacher gewesen.

Isabo war unser Steuermann,
aus hielt sie, bis sie das Ufer gewann!

Henrike fragt, was denn mit dem angekündigten Sturm sei, ob der noch komme, ja, sagt der Kapitän, aber erst heute Nachmittag. Und morgen regnet es auch. Aber ach, was verstehen Kapitäne schon von Seewetter? Nachmittags auf der Insel ist kein Wind, schon gar kein Sturm, es ist zwischendurch wohl grau und neblig, aber der Nichtwind pustet das schnell weg, und am nächsten Morgen ist alles blau. Blauer Himmel, blaues Meer, weißer Sand, grünes Land, rote Klippen.
Es schaukelt kaum, als wir zur Düne und wieder zurück übersetzen, auch wenn Henrike hinterher behauptet, da wäre ihr auch schon schlecht gewesen. Als wir nachmittags den Katamaran zurück nach Hamburg besteigen, ist immer noch blauer Himmel und blaues Meer, aber die See ist kabbelig, es schaukelt, Henrike wird sehr blass und seekrank und legt sich auf den Boden. Und sieht ungeheuer Schneewittchen aus, weiße Haut, rotes Haar, schwarzer Pullover, sehr dekorativ liegt sie im Gang herum. Als nächstes wird der schwangeren Herzdame übel, sie klagt über den Würstchengeruch, der durchs Schiff zieht, und geht nach draußen, wo die Raucher stehen, auch nicht besser. C. und ich werden nicht seekrank, wir bestellen Sekt, oder wie wir alten Damen sagen: ein Piccolöchen, und zwitschern uns einen. Als wir die Elbmündung erreichen, liegt das Schiff wieder ruhiger, die Herzdame entdeckt Gummibärchen als ultimatives Heilmittel gegen Seekrankheit (Saftbären!), Schneewittchen will davon nichts wissen, sie ist immer noch bleich, steht aber irgendwann immerhin wieder auf. Wir essen Gummibärchen und saure Colafläschchen und trinken Sekt und kichern. Als wir in Hamburg einlaufen, läuft gerade die Aida Aura aus. Ich finde diese Bemalung entwürdigend, so ein Schiff hat doch auch seinen Stolz.

Abends beim Einschlafen fällt mir ein, dass ich meinen Sekt gar nicht bezahlt habe. Am nächsten Tag kommt eine Mail von C, ob ich meinen Sekt bezahlt hätte und ihren womöglich auch, sie habe ja wohl die Zeche geprellt. Prost, Madame, da haben wir zusammen geprellt. Und schon wieder ein Grund, die Reise demnächst noch mal zu machen: um uns hochoffiziell zu entschuldigen. Zeche prellen ist nämlich unchristlich.

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Mist, ich fürchte, ich habe mich Hals über Kopf verliebt. Das wollte ich nicht, immerhin war die Sache ethisch bedenklich. Aber ein bisschen Sonne und Meer machen mich immer gleich willenlos, da kann ich gar nichts gegen tun. Was mache ich denn jetzt?
Wieder hinfahren, selber zahlen, die restlichen Attraktionen abklappern (James-Krüss-Museum, Aquarium, Schwimmbad). So wirds gehen.

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Helgoland

Der Hotelier sagte, das sei kein Wind. Das Hotel Rickmers Insulaner bietet seit Dezember im Rahmen des Helgoländer Hochseewinters ein Reisepaket Storm Watching an, allerdings gab es seither noch keinen Sturm. Was uns fast von den Klippen gepustet hat, was uns vorangeschoben und uns den Weg versperrt und die Kamera aus der Hand geschlagen und den Atem geraubt hat, war kein Wind. Man meint ja auch immer, die Sonne wäre gar keine Sonne, wenn dazu ein frischer Wind weht. Es war strahlend blauer Himmel, ich bin ganz verbrannt im Gesicht, von der Sonne, die doch eine Sonne war, obwohl der Wind wehte, der kein Wind war. Ich habe immer noch ein bisschen Ohrensausen vom Wind, der nicht wehte, und der Boden schwankt immer noch unter meinen Füßen, weil das Schiff so schwankte, vom Wind.
Wir waren im Oberland und im Unterland, und wir sind zwischen Ober- und Unterland mit dem Aufzug gefahren. Eine Aufzugfahrt kostet sechzig Cent, es gibt aber günstigere Zehnerkarten. Die Hummerbuden sehen aus wie Kinderspielhäuser von Ikea. Wir haben die sauberste Luft Deutschlands geatmet und im saubersten Wasser dann doch nicht gebadet. Wir haben vorzüglich gegessen, aber keinen Hummer, wir sind zur Düne übergesetzt und haben ausgedehnte Spaziergänge gemacht, wir haben die lange Anna und Trottellummen und Basstölpel und Kegelrobben gesehen, und wenn der Wind, den es nicht gab, aus der richtigen Richtung kam, haben wir sie auch gerochen. Der Hotelier hat uns seine Lieblingsstelle auf der Düne gezeigt, am Kiesstrand, wo er so gern dem Klackern der Steine zuhört, wenn eine Welle zurückgeht. Wir haben keinen Bernstein gefunden, nur in den Schmuckgeschäften, aber nicht am Strand. Wir haben unglaublich viele Geschichten gehört, der Hotelier ist ein Neffe von James Krüss, das Geschichtenerzählen scheint in der Familie zu liegen. Geschichten von Helgoland und den Helgoländern (er betont die Helgoländer auf dem Ä) und von der Familie Rickmers, Geschichten von Juwelenraub und Hotelgästen, die sich nackt aus dem Zimmer ausschließen und ein großes Chaos verursachen, Geschichten, die ein bisschen nach Seemannsgarn klingen aber – ich schwör, ich erfinde nichts dazu – die reine Wahrheit sind. Überhaupt ist die ganze Insel Helgoland die reine Wahrheit. Als Kind habe ich nicht an Helgoland geglaubt, ich hielt es für eine Erfindung von James Krüss, wie Lummerland eine Erfindung von Michael Ende ist. Ich weiß nicht, ob es Saltkrokan wirklich gibt. Helgoland gibt es. Nur den Wind, den gibt es nicht.

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Kommentare
Anderthalbfache Unterstützung!
Christl Klein, vor 12 Jahren
Hm, Tempers Kommentar ist ja
schon von 2008 - ich schätze eher nicht, dass...
isabo, vor 13 Jahren
Zettel's Ingo Maurer Hallo,
ich habe Ihren Beitrag zur Zettel's-Lampe gefunden. Da ich sie gerne...
Christiane Thomaßen, vor 13 Jahren
das ist ein hobby
von mir. antizyklisches kommentieren ;)
fabe, vor 13 Jahren
Das hier ist ja
schon eine Weile her. Hihi.
isabo, vor 13 Jahren
hier war ja neulich
stromausfall. menschen sind merkwürdig.
fabe, vor 13 Jahren
endlich endlich setzt jemand ein
Zeichen gegen das ständige Aussterben schöner Wörter! Da bin ich...
federfee, vor 13 Jahren
Lassen Sie doch vielleicht mal
Ihr Assoziationsmodul überprüfen, das spielt ja geradezu verrückt. Das...
isabo, vor 13 Jahren
Oh, vielen Dank!
isabo, vor 14 Jahren
grosses Lob Liebe Isabo,
bin ueber Meike auf Dich gestossen und finde Deine Texte ganz...
LvO, vor 14 Jahren
Der Verein lebe hoch, anderthalb
mal hoch Bin dabei.
Jolen, vor 14 Jahren
Da spricht mir wer aus
der Seele. Ich gebe mir auch schon seit Jahren...
Cuguron, vor 14 Jahren
Ha, wir haben auch nur
Fangen (hieß einfach "fanga") ohne so ein Hintertürchen gespielt....
Irene, vor 14 Jahren
Meiner hat mir nur von
dem Smiley auf seiner Krone erzählt. Und ob ich...
strandfynd, vor 14 Jahren
Bin gerade erst über das
Interview gestolpert - für mich als Auch-Japanisch-Übersetzerin doppelt und...
frenja, vor 14 Jahren
Beide haben Fahnenmasten, der linke
und der rechte Nachbar. Und beide haben die Deutschlandfahnen...
croco, vor 14 Jahren
das hier geht woanders
nicht besser, aber versuch macht kluch...
don papp, vor 14 Jahren
Ja. Ich habe aber erstens
Schimpfe bekommen für dieses wunderschöne, kühle, coole, elegante, heißgeliebte...
isabo, vor 14 Jahren
Sie wissen aber schon,
dass das hier schöner ausschaut?
leavesleft, vor 14 Jahren
Gute Entscheidung. Trennung in beruflich
und privat ist unpraktisch (für alle Beteiligten) und wenig...
textundblog, vor 14 Jahren
Jo. Dann.
isabo, vor 14 Jahren
Möchten Sie es wissen?
kinomu, vor 14 Jahren
alles gute und auf nach
drüben!
skizzenblog, vor 14 Jahren
ja ja ja!!! ES geht
es geht es geht!!! (aber halt ohne Editieren, wurscht!)...
g a g a, vor 14 Jahren
Ich GLAUBE, ich habe
das Captcha- Dings jetzt weggemacht. Kannst Du es nochmal veruschen?
isabo, vor 14 Jahren

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