Und zwar, genau, unsere Henrike, und zwar, genau, beim Literaturquickie. Wie immer: Mittwoch Abend (27.01.) um halb elf, siebzehn Minuten Lesung in der Bar 439, Vereinsstraße 38. Kommt alle!
Gestern hörte ich eine Dame im Abstand von weniger als fünf Minuten sagen: "Wir hatten ja nichts, also, wir hatten wirklich GAR NICHTS!" und "Kaschmir ist ja nicht gleich Kaschmir, das ist ja ein himmelweiter Unterschied."
Geier: Ich diktiere meine Texte, weil ich über Jahrzehnte des Übersetzens und Unterrichtens zu der Einsicht gekommen bin, dass die Sprache primär nichts Geschriebenes ist. Sie ist mehrdimensional. Wenn ich diktiere, sehe ich ja zunächst nicht, was auf dem Papier steht.
Würde ich es sehen, würde ich sofort mit dem Verbessern beginnen und käme viel zu langsam voran. Meine Mitarbeiterin kommt jeden Morgen um 8.45 Uhr und bringt vier oder fünf Brötchen mit. Sie setzt sich an das Gerät und dann diktiere ich. Ich habe das russische Original gelernt und das angestrebte Tagespensum vorbereitet. Nun bleibt der Text erst einmal liegen. Dann besucht mich erneut ein wohltätiger Mensch, er ist von Beruf eigentlich Klavierspieler und der belesenste Mensch, den ich kenne. Der trägt mir mein Manuskript vor. Da er meist etwas verdrossen dreinblickt und eine gewisse Strenge ausstrahlt, erscheint mir der Text als etwas Fremdes, das ich dann wieder mit der gebührenden Distanz bearbeite.
Zum Interview mit Swetlana Geier im Rheinischen Merkur.
(Zur Erinnerung: das ist die Frau mit den fünf Elefanten. Boah, bin ich gespannt auf den Film.)
Jasper Lüdemann ist ein deutscher Aktienhändler an einer Bank in Chicago. Er will einem Kollegen aus der Klemme helfen, verspekuliert sich dabei aber und macht reichlich Verluste für seine Bank.
Henry LaMarck ist ein berühmter Schriftsteller, der nun schon zum zweiten Mal für den Pulitzerpreis nominiert ist. Dummerweise hat er irgendwann behauptet, er schriebe an einem Roman über den 11. September, tatsächlich steckt er aber in der Krise und schreibt gar nicht. Sein Chicagoer Verlag wartet, ebenso wie der deutsche Verlag, auf das Manuskript.
Meike Urbanski ist seine deutsche Übersetzerin, die gerade aus ihrem immer bürgerlicher werdenden Leben in Hamburg geflohen ist und sich ein heruntergekommenes Häuschen in Friesland gekauft hat. Sie ist pleite und braucht dringend das Manuskript von Henry LaMarck.
Diese drei erzählen im Wechsel, und zwar so (jeweils der Anfang):
Jasper
„Guten Morgen, Sir. Wie geht es Ihnen?“
„Gut“, sagte ich. Was sogar der Wahrheit entsprach. Es ging mir gut, obwohl ich die ganze Nacht mit den Kollegen durch irgendwelche Londoner Bars gezogen war. Das erzählte ich der Stewardess natürlich nicht. Dabei hätte ich eigentlich gern jemandem erzählt, was in den letzten Tagen passiert war.
Meike
Jetzt musste ich mich nur noch daran gewöhnen, dass es hier richtig schön war. Ich musste mich daran gewöhnen, dass diese Haustür meine Haustür war, und dahinter kein nach Putzmittel riechender Hausflur, keine Kinderwagen, kein von weggeschmissenen Werbeprospekten überquellender Plastikeimer, sondern nur meine blauen Schuhe auf den braunen Natursteinfliesen im Vorflur. Dies war ich in meinem neuen Leben.
Henry
Ich sollte mich wirklich schämen. Schämen solltest du dich, Henry LaMarck! Auf jeder anderen Party wäre es im Rahmen des gesellschaftlich Akzeptierten gewesen, sich sang- und klanglos davonzustehlen, doch auf der Party zu meinem eigenen sechzigsten Geburtstag war es das sicher nicht.
Tut er aber, er stiehlt sich davon und verschwindet. Der Verlag sucht nicht nach ihm, daher fliegt Meike schließlich auf eigene Faust nach Chicago. Wo sie in einem Café Jasper kennenlernt. In ebendiesem Café lernen sich auch Jasper und Henry kennen – Henry verliebt sich in Jasper, Jasper sich in Meike, Meike aber will nur das Manuskript, das es nicht gibt.
Alle drei stecken in der Sackgasse. Jasper hat sich verspekuliert, versucht, dagegen an zu spekulieren und reitet sich immer weiter rein. Meike ist aus der Bürgerlichkeit abgehauen, hat jetzt aber keine Arbeit und auch sonst nichts. Und Henry hat Schreibblockade und weiß nicht, wie er damit umgehen soll. Zudem kennen sich jetzt alle drei, wissen aber jeweils nicht, dass die anderen beiden sich auch kennen.
Sehr schöne Ausgangssituation, und es wird auch alles sehr liebevoll beschrieben, es gibt zauberhafte Szenen und Ideen, aber restlos begeistert kann ich nicht sein. Dafür gibt es mir doch zu große Plausibilitätsschwächen – dass Meike nach Chicago fliegt zum Beispiel, erschließt sich überhaupt nicht. Zweitens kann ich Geschichten nicht leiden, in denen sich jemand immer tiefer in was reinreitet, weil er sich nicht traut, einen kleinen Fehler zu gestehen oder ein Missverständnis aufzuklären. Es nervt mich, wenn eine Figur selbst wissen muss, dass es immer nur schlimmer werden kann, sich aber einredet … nee, nichts für mich, aber das ist natürlich mein Privatdings und kann nicht als echte Kritik gelten. Und drittens möchte ich Sätze wie „Ich startete den Internet-Browser“ 2010 nicht mehr lesen.
Das Ende ist schließlich so fernsehfilmhaft dick aufgetragen, dass mir dann doch der Verdacht kommt, Magnusson habe das alles nicht sehr ernst gemeint – eher als Spiel, als Augenzwinkern. Das wiederum gefällt mir, ich bin nur nicht sicher, ob es wirklich so ist. Fazit: das ist ein gutes Buch, durchaus, ich weiß nur nicht recht, wie ich mit den Einschränkungen umgehen soll. Vielleicht hat mich auch nur die Zahngeschichte ungnädig gemacht. Ansonsten wird es übrigens allenthalben bejubelt, zum Beispiel von Katy.
Kristof Magnusson steht im Regal zwischen Nagib Machfus und Bernard Malamud.
Kaum wird das Blog fünf, da fällt ihr nichts mehr ein, denkt man. Stimmt auch. Mir fällt gerade nichts ein. Was nämlich in den letzten Tagen geschah:
Montag Morgen marschiere ich munter zum Zahnarzt und höre dort überraschend die hübsche Formulierung „Wurzelkanäle ausschachten“. Wer das eklig findet, kann ruhig weiterlesen, Ihr habt das Schlimmste schon geschafft. Die Details erspare ich Euch, seitdem sitze ich hier und halte mir einen Kühlakku an die Wange. Der Zahnarzt sagt nachmittags am Telefon, wenn die Schwellung kokosnussgroß sei, solle ich noch mal wiederkommen. Sie ist nur ungefähr Tennisball, also alles in Ordnung.
Ich nehme nie Medikamente, aber Montag Nachmittag beschließe ich, dass es jetzt doch mal Zeit für eine Paracetamol ist. Unbedachterweise twittere ich das, eben weil es so ungewöhnlich ist, und schon stürmen Ratschläge und Meinungen auf mich ein, einer sagt, ich müsse viel mehr nehmen, der zweite sagt, ich müsse was anderes nehmen, der dritte meint, was anderes UND mehr, der vierte schreit genau!, der fünfte sagt, ich soll Gewürznelken kauen, und der sechste findet, ich brauche was Stärkeres. Dabei habe ich doch nur ein bisschen Zahnschmerzen und wollte nur ein bisschen Mitleid.
Eine Freundin sagt, nach zahnärztlichen Eingriffen soll man sich schonen, immer, denn das ist ein Eingriff am Kopf, und am Kopf ist alles sehr nah beieinander und alles sehr wichtig. Sie hat recht. Der Schmerz zieht in Ohr und Hals und irgendwie auch in Hirn und Gemüt, da kann man weder vernünftig denken noch souverän mit vernichtenden Mails vom Lektor umgehen.
Ich übersetze unkonzentriert, habe keine Lust zu lesen, schlafe nicht gut und bin ganz schön knatschig. Ich beantworte Mails nicht, und zum Bloggen fällt mir auch nichts ein. Und dann kommt der Mann nach Hause und bringt mir Blumen mit und Hühnersuppezutaten, denn Hühnersuppe macht gesund und hilft gegen alles. Und ich bin so gierig auf Hühnersuppe, dass ich sie mit dem gefrorenen Huhn koche – den Versuch war’s wert, die Suppe ist super, das Fleisch eher zum Wegwerfen, steinhart und trocken. Nächstes Mal wieder mit aufgetautem Huhn.
Jedenfalls habe ich beschlossen, dass Hühnersuppe, Kühlakku, Ingwertee und Rosen mich jetzt gefälligst gesund machen, und dass drei Tage Jammern reichen. Ist ja nicht auszuhalten, wie machen das Leute, die immer so jammerig sind, da erträgt man sich ja selbst nicht. Das Gute, wenn man keine Schmerzmittel nimmt, ist übrigens, dass man merkt, wie der Schmerz nachlässt. Tatsächlich geht’s heute schon etwas besser.
Ich esse noch einen Napf Hühnersuppe. Los, mach mich gesund!
NACHTRAG:
Was ich zu erwähnen vergaß, denn mein Kopf, nun ja. Ich hab vielleicht ein Glück! Als ich den ersten Kühlakku aus dem Tiefkühler holte, klebte daran eine Scherbe von der letzten explodierten Bierflasche. Damit habe ich mir nur in die Hand geschnitten, nicht in die Wange. Was für ein Glück!
Und gerade noch so ein Glück: dass der Abfluss in der Küche undicht ist, habe ich schon gemerkt, als die Überschwemmung erst mittelgroß war. Nennt mich Glückspilz. Danke, Weltgeist.
Das Wort Mobiltelefon, liebe Kinder, ist ein Anglizismus. Auf Deutsch heißen die Dinger Handy. Und bevor hier einer anfängt zu kichern: das ist mein voller Ernst.
Freitag, 15. Juli 1988
Rankeillor Street, Edinburgh
„Ich glaube, das Wichtigste ist, irgendwas zu verändern“, sagte sie. „Du weißt schon, wirklich zu verbessern.“
„Wie, meinst du ‚die Welt verbessern’?“
„Nicht gleich die ganze Welt. Nur das kleine Stück um dich rum.“
Für einen Augenblick lagen sie schweigend und eng umschlungen in dem schmalen Einzelbett, dann lachten beide in der Dunkelheit vor Sonnenaufgang leise vor sich hin. „Ich kann es nicht fassen, dass ich das gesagt habe“, stöhnte sie. „Klingt ganz schön abgedroschen, was?“
Emma und Dexter verbringen die Nacht nach ihrem Studienabschluss miteinander, haben nur so halb Sex, und gehen am nächsten Tag in verschiedene Richtungen los, ihr Leben leben. Aber sie halten Kontakt, über Jahre und Jahre, werden Freunde, gehen sich auf die Nerven, verlieren sich fast aus den Augen, klammern sich wieder aneinander fest, erzählen einander ihren Kummer, haben andere Partner, suchen ihren Platz im Leben und werden erwachsen. Wir begleiten sie von 1988 bis 2007 und erleben jeweils ihren 15. Juli mit.
Schöne Idee, sehr schön umgesetzt. Mittendrin sind mir die beiden zwar fürchterlich auf die Nerven gegangen, ich habe schon kurz überlegt, es trotz anfänglichen Entzückens beiseite zu legen, aber dann ging mir auf, dass sie sich ja auch gerade selbst und einander auf die Nerven gehen, in sofern hat das hervorragend gepasst. Und es hört auch wieder auf. Besonders überzeugend fand ich die Dialoge (auch schön übersetzt, heißt das) – die Stimmung, die zwischen Emma und Dexter in den Dialogen entsteht, ist eine ganz besondere, an die keine andere Zweierpaarung des Buches herankommt. Wüsste der Leser nicht sowieso, dass die beiden eigentlich für einander bestimmt sind, würde er es spätestens daran merken.
Ein Buch zum Reinplumpsen, zum sich Festlesen, für den Strand oder krank im Bett, es fordert das Hirn nicht übermäßig, was aber überhaupt nicht heißt, dass es doof wäre, im Gegenteil. Und witzig ist es auch, sehr schön englischer Humor. Ein „Hach!“-Buch.
Zwischendrin sind jeweils zum Beginn der großen Oberkapitel Zitate aus Klassikern eingefügt, und hinten werden diese Zitate „nachgewiesen“, teilweise ohne Übersetzernennung. „Abdruck der deutschen Übersetzung mit freundlicher Genehmigung des Verlags gna“. Hallo? Mannmannmann.
David Nicholls wohnt im Regal zwischen Pablo Neruda und Friedrich Nietzsche.
Diese zauberhaften Damen touren, wie immer, mit ihrem Jahresrückblick, und kommen, wie immer, auch nach Hamburg. Ins Polittbüro, wie immer. Am Sonntag, dem 17.01. um 20.00 Uhr. Und wenn schon wieder alles so ist wie immer, dann wird es auch wieder super. Ich weiß, wovon ich spreche, ich war schon, ach, immer da.
Weitere Termine in anderen Städten gibts bei Klick aufs Bild.
Die "Fünf Elefanten" sind die fünf großen Romane von Dostojewskij, und die Frau ist Svetlana Geier, die die Fünf Elefanten ins Deutsche übersetzt hat. Und der Film kommt Ende Januar ins Kino. Ein Dokumentarfilm über eine Übersetzerin! Wie toll ist das denn! Ich freu mich!
Neulich schrob ich schon, ich müsse mal wieder was erleben, damit mir das hier nicht zum Bücherblog verkommt. Heute hatte ich dann gleich zweierlei vor, erst den Geburtstag einer Freundin, dann Grillen an der Alster. Schöne Pläne.
Die Freundin wohnt nicht weit weg, aber mit öffentlichen Verkehrsmitteln ist es ein wenig umständlich: eine Station S-Bahn, umsteigen, zwei Stationen S-Bahn, umsteigen, Bus. Immerhin kam nach knapp zehn Minuten eine S-Bahn, ich stieg wie ein Schaf nach einer Station aus, ging Richtung Ausgang und stellte fest: ist ja Hasselbrook, ich musste hier gar nicht aussteigen, ich muss ERST zwei Stationen fahren und DANN eine, nicht umgekehrt. Das Warnklingeln klingelte schon, die Türen waren zu, aber vielleicht würden sie ja doch noch wieder aufgehen, ich machte einen schnellen Schritt auf eine Tür zu, rutschte auf dem Schnee aus, fiel hin und die Bahn fuhr an. Nix passiert, ich war nur ein bisschen nass und habe mir nur ein bisschen wehgetan, aber die Bahn war weg. Die nächste kam in zehn Minuten. Gut, dass ich mir das Frieren abgewöhnt habe.
Zehn Minuten später fuhr ich also wieder eine Station, dann musste ich tatsächlich umsteigen, von der S- in die U-Bahn, die sind natürlich nicht aufeinander abgestimmt, sie warten nicht, den Rest kann man sich denken. Wieder zehn Minuten warten, um wieder eine Station zu fahren.
Über den Bus möchte ich nicht sprechen.
Zurück nahmen nette andere Gäste mich mit dem Auto mit und brachten mich nach Hause.
Wo ich eine dicke Wollstrumpfhose anzog, zusätzlich Kniestrümpfe, eine Jeans, ein Unterhemd, ein langärmliges T-Shirt, den allerdicksten Pullover, den ich besitze, und meinen warmen praktischen Anorak. Ich setzte mich wieder in die Bahn, holte die Buddenbohms ab und marschierte mit ihnen Richtung Alster. Und an der Alster entlang, und weiter und weiter und ziemlich weit. Als wir schließlich eine Straße überqueren wollten, fuhr ein Auto durch die Pfütze und spritzte in hohem Bogen vor allem mich nass. Alle anderen haben weniger abbekommen, hauptsächlich auf die Jacken, und die sind dicht, aber meine Hose war klatschnass. Kurze Beratung, dann drückte Merlix mir seinen Hausschlüssel in die Hand, erklärte mir, wo der Fön liegt, und ich kehrte um. Und ging den ganzen Weg zurück mit nasser Hose und dann wieder hin mit trockengefönter Hose, und schritt kräftig aus und schwitzte, denn der dicke Pulli unter der dicken Jacke war dann doch zu viel.
Als ich schließlich beim Grillen ankam, war es bereits dunkel, viel zu dunkel zum Fotografieren, dabei wollte ich gern das Alstereis und Grillfotos im Schnee, jenun. Immerhin, Würstchen und Glühwein waren fertig, ich bekam von allem reichlich und fing unverzüglich an zu frieren, denn ich hatte ja geschwitzt. Wir sind dann nicht so irre lang geblieben. Aber schön wars trotzdem! Und ich war im Prinzip den ganzen Tag draußen. Wieso ich davon jetzt Kopfschmerzen habe, weiß ich auch nicht. Geht weg, ihr seid doof.
… der liebe Gott oder der Weltgeist oder wer auch immer für sowas zuständig ist, hat sich den Schnee ausgedacht, damit es im Winter nicht so dunkel ist. Das ist doch zauberhaft.
Ich geh jetzt an die Alster, grillen.
… beendet die charmante Begleitung den charmanten Abend, den wir in einer Kneipe voller junger Menschen beenden, mit den Worten: "Du bist hier übrigens nicht nur die Älteste, sondern auch die Größte. Von allen, Frauen und Männern."
Übermorgen ist Sonntag. In weiten Teilen Deutschlands werden die Geschäfte geschlossen bleiben. Das gilt auch für Lebensmittelgeschäfte. Viele schließen bereits am Samstag Abend. Mein Tipp: Rechtzeitig Hamsterkäufe tätigen! Kaufen Sie schon morgen Lebensmittel ein, damit Sie am Sonntag etwas zu essen haben.
Das Buch beginnt so: Nur drei meiner Bücher hat Dr. Beer lektoriert. Die Arbeit am vierten brach er ab – wie er mir in einem handgeschriebenen Brief mitteilte, „nach gesundheitlichen Erwägungen“. Ich weiß es besser. Er schämte sich vor mir – wegen der Ereignisse, die während unserer letzten gemeinsamen Arbeit vorgefallen waren: die Geschichte mit dem Hund. Kann sein, dass es ihm nicht recht ist, wenn ich diese Geschichte hier erzähle. Aber: Er war nicht nur mein Lektor, sondern auch mein Lehrer, und er hatte stets betont, Literatur, die auf irgendetwas oder irgendjemanden Rücksicht nehme, sei nichts wert.
Der Lektor ist überhaupt ein kluger Mann, scheint’s. Er besucht den Autor bei sich zu Hause, um gemeinsam am aktuellen Buch arbeiten zu können; ein Novum, sonst hat man sich immer im Verlag getroffen. Jetzt reist der Lektor also an und wird ein paar Tage bleiben.
Wenn Autoren über Autoren schreiben, bin ich immer erstmal ungehalten. In diesem Fall ist das aber etwas anderes, denn das ist gar kein Roman, wie ich dachte. Oder höchstens so halb. Ob es den Lektor wirklich gibt und die Geschichte mit dem Hund wirklich passiert ist: keine Ahnung. Aber der Schriftsteller in diesem Buch ist Köhlmeier selbst; seine Frau heißt, wie seine Frau wirklich heißt, ebenso die vier erwachsenen Kinder. Seine Tochter Paula ist mit 21 Jahren bei einer Bergwanderung tödlich verunglückt, und das wird in diesem Buch mit verarbeitet. Aber nicht nur, wie der Klappentext glauben macht. Es geht ebenso um das Verhältnis zwischen Autor und Lektor, und das auf hohem Niveau. Der Klappentext (und das, was überall steht) ist überhaupt doof, denn der Spaziergang, der dort verkündet wird, beginnt auf Seite 90 von 110. Das will man doch gar nicht vorher wissen. Und was dann noch im Klappentext steht, ist schon Interpretation, nicht neugierigmachender inhaltlicher Teaser. Ich finde so was ärgerlich. Also: Klappentext nicht lesen, Buch aber sehr wohl lesen.
Denn auch wenn ich mir das Ende irgendwie noch ein bisschen intensiver gewünscht hätte, ist das sicher eines der besten Bücher der letzten Jahre. Es hat das, was ich den Rhythmus von Prosa nenne, also keinen Beat wie Lyrik, sondern ein unterschwelliges Rauschen, wie ein Fluss oder so etwas, ein Treiben, das einen reinzieht und mitnimmt; schwer zu benennen und zu packen, aber unverkennbar da. Ein Sog. Und dann sind auch noch so viele kluge Gedanken drin. Und so schöne Bilder. Lesen!
Köhlmeier kommt im Regal zwischen Alexander Kluge und Ralf König.
Wenn ich mit der Übersetzung eines neuen Buchs anfange, mache mir immer erstmal einen Plan. Manchmal schriftlich, manchmal im Kopf, manchmal detailliert, manchmal übern Daumen gepeilt. Tageweise, wie viele Seiten ich an welchem Tag schaffen muss, bereits vorhandene Termine mit eingeplant, oder eben nur so grob, soundsoviele Seiten pro Woche, oder bis Ende des Monats.
All diese Pläne haben gemeinsam, dass ich mich schon am ersten Tag nicht daran halte. Nie. Niemals nie nicht. Und auch am zweiten Tag hole ich nicht auf, und nicht am dritten oder vierten. Ich mache vielmehr erstmal drei Wochen lang gar nichts. Das heißt, ich sitze am Schreibtisch, lungere im Internet herum und rede mir ein, jetzt gleich aber wirklich mit der Arbeit anzufangen. Und plötzlich sind, schwupps!, drei Wochen vergangen, und ich frage mich, was ich eigentlich die ganze Zeit gemacht habe.
Dann fange ich so langsam an zu arbeiten. Und dann wird es irgendwann enger, und ich ziehe das Tempo an, und dann ziehe ich es noch mehr an und wundere mich, wie man plötzlich so viel in so kurzer Zeit übersetzen kann, gleichzeitig frage ich mich, wie ich das noch alles schaffen soll, ärgere mich über mich, dass ich wieder nicht rechtzeitig angefangen habe, und die letzten Nächte sind meist sehr kurz. Aber ich habe noch nie zu spät abgegeben, und ich gebe auch nichts Schlampiges ab. Was ich abgebe, ist gut, und es ist pünktlich, aber der Weg dahin … nun ja. Aber das System funktioniert, ich arbeite seit 10 Jahren so, beziehungsweise schon immer, aber seit 10 Jahren übersetze ich Bücher auf diese Weise. Ich brauche den Druck, je höher, desto besser.
Jetzt ist mir aber etwas Seltsames passiert. Ich habe zwei Bücher auf einmal angenommen. Das erste war vor Weihnachten abzugeben, das zweite Mitte Februar. Von Weihnachten bis Mitte Februar sind es sechs Wochen, eindeutig zu wenig für 400 Seiten. Beziehungsweise unmöglich. Es war also klar, dass ich schon das erste Buch deutlich vor Weihnachten abgeben musste, um mit dem zweiten anfangen zu können. Nun ja. Ich habe eine Weile vor Weihnachten abgegeben. Vielleicht zum allerersten Mal überhaupt in meinem Leben habe ich früher abgegeben, als ich musste. Aber natürlich nicht früh genug, das zweite Buch ist verdammt knapp, verdammt-verdammt-verdammt knapp.
Ich habe mir dann einen Plan gemacht. Schon vor Weihnachten. 10 Seiten am Tag, das geht, dochdoch, es muss jetzt nur dummerweise jeden Tag gehen, und das ist dann doch ganz schön ehrgeizig. Zumal Pläne und ich, aber das hatten wir schon.
Mysteriöserweise bin ich jetzt auf Seite 120 des Originals. In echt. Und planmäßig. Ich bin seit 120 Seiten im Plan. Ich habe schon Fieber gemessen, ist aber nichts. Keine Ahnung, was es sonst sein könnte. Das Buch fluppt, es lässt sich prima übersetzen und ärgert mich nicht und ist quasi recherchefrei, ich mag es, das macht sicher viel aus. Aber das hatte ich natürlich auch schon bei anderen Büchern, das allein kann es nicht sein. Gestern hatte ich viel vor, 16 Seiten, weil ich übers Wochenende weniger geschafft hatte als geplant, das ist mörderviel, und ich war trotzdem um halb neun abends fertig. Mit dem Tagwerk. Da habe ich vor lauter Freude noch ein bisschen mehr gemacht, und dann war es kurz nach neun, und ich hatte Feierabend.
Feierabend. So richtig. Ich habe mich mit einem Buch ins Bett gelegt, um halb zehn am Abend, mitten in meiner üblichen Arbeitszeit, und der Mann hat mir Bier und Chips gebracht. Ich lag da und habe ein Buch gelesen, einfach so zum Spaß. Der Hammer. Ich war fertig mit der Arbeit. Feierabend.
Ich glaube, das mache ich jetzt öfter. Ich bin immer noch ganz platt, Feierabend! Wie geil ist das denn! Jetzt schnell was wegschaffen. Und heute Abend vielleicht schon wieder Feierabend haben. Irre.
Der Roman beginnt so: Meine Eltern lieben Samuel. Und er liebt sie. Wenn Samuel mich nervt, nenne ich ihn manchmal Adoptivkind, das ist sozusagen sein wunder Punkt. Seit Samuel und ich in einer Klasse sind, sind wir befreundet. Fast sieben Jahre jetzt. Und seitdem schläft Samuel fast jede Nacht bei uns. Er hat schon lange ein eigenes Bett in meinem Zimmer. Meine Eltern haben es ihm geschenkt. Natürlich haben sie mich vorher gefragt, ob das in Ordnung für mich ist, sie würden so etwas niemals über meinen Kopf hinweg entscheiden. Aber es ist nicht so, dass ich etwas dagegen hätte. Ich bin nicht eifersüchtig. Samuel ist mein bester Freund und wenn meine Eltern mich nicht gefragt hätten, hätte ich sie wahrscheinlich gefragt.
Die perfekten Eltern des Erzählers haben also mal wieder alles richtig gemacht. Grauenhaft, wie sie immer alles richtig machen, man kann sie nicht hassen, man kann sich von nichts abheben, gegen nichts rebellieren. Samuels Eltern hingegen sind eher das Gegenteil von perfekt, die Mutter ist Alkoholikerin und nur deswegen nicht obdachlos, weil sie Samuel hat, und einen Vater gab es nie. Die Mutter hat irgendwann behauptet, er sei Türke, und seitdem bildet Samuel sich ein, Halbtürke zu sein und sein Glück in der Türkei finden zu müssen. Und so brechen die beiden Freunde nach dem Abitur auf, um in Istanbul „irgendwas“ zu machen, einen Laden aufmachen oder so. Obwohl neuerdings etwas zwischen ihnen steht, von dem sie beide nicht wissen, wie sie damit umgehen sollen.
Es ist eine Geschichte von Freundschaft und vom Erwachsenwerden, vom Abnabeln, von der Sehnsucht nach Kaputtheit und der nach etwas Heilem und von der Suche nach sich selbst. Und vielleicht auch die Geschichte von etwas Uneingestandenem. Sehr schön. Ich mag sehr, dass nicht alles geklärt wird, dass man sich am Ende immer noch fragt … sag ich nicht. Und so schön unprätentiös erzählt.
Finn-Ole Heinrich steht zwischen Heinrich Heine und Guy Helminger.
Mehr dazu (Trailer, Leseprobe etc) gibts bei Mairisch, wo man das Buch auch gleich bestellen kann.
Und Katy hat Finn-Ole Heinrichs aktuellen Erzählungsband "Gestern war auch schon ein Tag" gelesen.
500 gr Gehacktes
300 gr Tofu
1 dicke Stange Lauch oder die entsprechende Menge Frühlingszwiebeln
Ingwer
Knoblauch
Sojasoße
Miso (Suppengrundlagenpaste, gibt’s im Asienladen)
Chili, besser frisch, geht aber auch getrocknet
Hack anbraten, mit reichlich feingehacktem Ingwer und Knoblauch würzen. Gewürfelten Tofu und in Ringe geschnittenen Lauch oder Frühlingszwiebeln dazugeben. Sojasoße drüber, in heißem Wasser aufgelöste Miso drüber, bis es so was zwischen Suppe und Eintopf ergibt. Mit Chili würzen. Etwas Zucker, nach Geschmack Salz, mehr Chili, mehr Ingwer, mehr Knoblauch. Soße ein bisschen andicken.
Dazu gibt’s Reis.
Und alle so: Yeaahh.