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Angelesen

Das nächste Buch fängt so an:

"Die Heimkehr meines Großvaters aus dem Krieg stand unter keinem guten Stern. Als seine Gruppe am Bahnhof ankam, zwanzig dünne Männer in grauen Wattejacken, spielte eine Kapelle Walzermelodien und Luftballons hingen an einem Reklameschild für Pepsi Cola. Die Wattejacken waren ein Abschiedsgeschenk der Sowjetunion, an ihre langjährigen deutschen Gäste. Der stellvertretende Bürgermeister hielt eine Rede und drückte jedem Spätheimkehrer die Hand, sofern eine solche noch vorhanden war. Die Zeitung würde ein Foto mit Bildtext bringen."

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Daniel Kehlmann: Ruhm. Ein Roman in neun Geschichten

Es sind eher neun Geschichten als ein Roman, aber die Geschichten berühren sich; optimale Mischung für Leute wie mich, die eigentlich keine Geschichten lesen. Dann aber doch.
Was für wunderbare Geschichten! Da ist einer, der plötzlich dauernd angerufen und für Ralf gehalten wird. Ein neurotischer Schriftsteller, der durch lateinamerikanische Goetheinstitute gereicht wird. Eine todkranke Frau. Ein berühmter Schauspieler, der plötzlich nicht mehr angerufen wird. Eine Krimischriftstellerin, die nach Zentralasien reist. Ein weltberühmter Autor esoterischer Lebensratgeber. Ein Nerd, der, statt zu arbeiten, nur im Internet herumhängt. Ein Abteilungsleiter mit Doppelleben.
Ich weiß nicht, woran es liegt: ich lese eigentlich nicht so gern Geschichten. Ich mag es nicht, wenn eine Romanfigur mit ihrem Autor spricht, beziehungsweise, wenn ein Autor noch eine Autorenpersönlichkeit zwischenschaltet und es thematisiert, dass man da eben eine Geschichte liest. Und der Nerd ist überzeichnet, zu dick aufgetragen. Und trotzdem gefällt mir das alles. Großartige Geschichten, schöne Verknüpfung der Geschichten auch, tolle Figuren, hervorragende Ideen, wunderbares Buch. Sogar der Trick, dass ein Teil der Geschichten sozusagen nicht von Kehlmann ist, sondern von dem Autor, der in den anderen Geschichten immer wieder auftaucht, funktioniert erstaunlich gut. Dicke Leseempfehlung.

Ich räume es jetzt ins Regal, zum anderen Kehlmann zwischen Niko Kazantzakis und Matthias Keidtel.

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Georges Simenon (Trude Fein): Der kleine Heilige

Es ist nämlich so, dass ich am allerliebsten gebundene Bücher lese. Die behandle ich gut. Das heißt, sie sind mir meist zu schade, außerdem zu schwer und zu sperrig, um sie in der Handtasche mit mir herumzuschleppen, daher lese ich meist parallel ein zweites Buch, ein Taschenbuch, ein Handtaschenbuch. Handtaschenbücher werden fast ausschließlich in der Bahn gelesen, höchstens noch im Wartezimmer, aber da bin ich nur selten. Auf diese Weise kann es ziemlich lange dauern, bis ich ein Handtaschenbuch durch habe.
„Der kleine Heilige“ ist Louis, ein Junge aus einfachsten Verhältnissen, der vor dem ersten Weltkrieg in der Rue Mouffetard in Paris aufwächst. Einen Vater gibt es nicht, aber Louis hat fünf Geschwister, die Mutter ist Marktfrau, die Familie lebt in einer Einzimmer-Wohnung. Und wir erleben sehr gemächlich seine Kindheit mit, seine Entwicklung und die der Geschwister, seine Schulzeit, seine Arbeit in den Markthallen, und schließlich die große Entdeckung seines Lebens. Je älter Louis wird, desto schneller wird das Erzähltempo, seine Jahre als alter Mann werden auf wenigen Seiten abgehandelt. Vielleicht wie im wirklichen Leben; als Kind kommt einem jeder Tag endlos vor, ein Jahr ist unvorstellbar lang, und je älter man wird, desto schneller vergeht die Zeit. Ein Buch wie ein Bild. Sehr schön anzuschauen, viel Ruhe.

Es steht jetzt im Regal, zusammen mit einem anderen Simenon, zwischen Dai Sijie und Christoph Simon.

Was das nächste Handtaschenbuch wird, weiß ich noch nicht.

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Angelesen

Das nächste Buch beginnt so:

"Noch bevor Ebling zu Hause war, läutete sein Mobiltelefon. Jahrelang hatte er sich geweigert, eines zu kaufen, denn er war Techniker und vertraute der Sache nicht. Wieso fand niemand etwas dabei, sich eine Quelle aggressiver Strahlung an den Kopf zu halten? Aber Ebling hatte eine Frau, zwei Kinder und eine Handvoll Arbeitskollegen, und ständig hatte sich jemand über seine Unerreichbarkeit beschwert. So hatte er endlich nachgegeben, ein Gerät erworben und gleich vom Verkäufer aktivieren lassen. Wider Willen war er beeindruckt: Schlechthin perfekt war es, wohlgeformt, glatt und elegant. Und jetzt, unversehens, läutete es."

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Aravind Adiga (Ingo Herzke): Der weiße Tiger

Seltsames Buch. Also, gutes Buch. Seltsam deswegen, weil man sich ja mit einem Ich-Erzähler gern identifiziert, und dieser Erzähler hier will einem so gar nicht sympathisch werden. Respektlos und amoralisch, sagt der Klappentext, und das stimmt auch, die Moral dieses Menschen ist jedenfalls nicht die des üblichen Helden. Balram stammt aus einer armen Kaste, aus einem Dorf, schafft es aber, als Fahrer einer Grundbesitzerfamilie eingestellt zu werden und schließlich mit einem Familienmitglied nach Delhi zu ziehen. So steigt er langsam auf, lernt etwas über das Leben der Reichen, über das Verhältnis zwischen Arm und Reich und das Funktionieren des großen indischen Hühnerkäfigs, und begeht schließlich einen Mord. Als Leser fragt man sich (also ich), ob man Balrams Art, sein Verhalten, seine Rechtfertigungen nicht doch nachvollziehen oder gar entschuldigen kann oder sollte oder müsste, weil für ihn das Leben eben so ist, wie es ist, oder gerade eben nicht; ich bin da zu keinem Schluss gekommen, aber das braucht man wohl auch nicht. So einfach ist es halt nicht, und es macht die besondere Qualität dieses Buches aus, dass es einen so beschäftigt. Und: es entromantisiert die Vorstellung von Indien. Meine persönliche Indienvorstellung ist nämlich – öh, nicht vorhanden, bzw. beschämend schlicht. Gut erzählt und übersetzt ist es auch. Die Notwendigkeit der gewählten Form, nämlich die ganze Geschichte in Briefen an den chinesischen Ministerpräsidenten zu erzählen, hat sich mir nicht erschlossen, aber die kann man auch einfach ignorieren.

Ich stelle es jetzt ins Regal zwischen Douglas Adams und Tschingis Aitmatov.

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Katharina Hagena: Der Geschmack von Apfelkernen

Iris erbt überraschend das Haus ihrer Großmutter. Sie streift eine Woche lang in diesem Haus herum und erinnert sich an die Geschichte ihrer Familie, ihrer Großeltern, ihrer Mutter und der Tanten, der Cousine. So weit, so konventionell. Das ganze Buch schmeckt nach Äpfeln, und Äpfel sind vielleicht nichts Besonderes, aber lecker. Manchmal schrammt es hart am Kitsch vorbei, und man hätte sich ein strengeres Lektorat gewünscht, es sind sprachliche Knubbel drin und hier und da auch logische Schwächen, aber es packt einen, es ist sinnlich und atmosphärisch dicht. Jedenfalls musste ich es dann doch noch in der Nacht zu Ende lesen. Ein Buch wie warmes Apfelkompott.

Das nächste Buch fängt so an: "Dies ist keine Leidensgeschichte. Meine Geschichte ist keine Leidensgeschichte, nur meine. Ich mache mir einen schönen Tag nach dem anderen. Ich mache was aus Zutaten, die alle einzeln gut schmecken und zusammen auch. Das ergibt Essen."

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Alan Bennett, Ingo Herzke (Ü): Die souveräne Leserin

Die Queen gerät auf einem Spaziergang mit ihren Hunden im Palastgarten zufällig in den Büchereibus, der dort einmal die Woche hält, und leiht sich aus reiner Höflichkeit ein Buch aus. Sie fängt an zu lesen und hört gar nicht wieder auf; ihrem Hofstaat und ihren Beratern indes gefällt das auf die Dauer nicht besonders. Sehr nettes Büchlein mit viel Witz, ich habe es mit großem Vergnügen gelesen. Und es ist hervorragend übersetzt, inklusive der unterschwelligen, sehr britischen Ironie. Dicke Leseempfehlung, das macht einfach Spaß.
Das nächste Buch beginnt so: „Tante Anna starb mit sechzehn an einer Lungenentzündung, die aufgrund ihres gebrochenen Herzens und des noch nicht entdeckten Penizillins nicht heilen konnte. Ihr Tod trat an einem Spätnachmittag im Juli ein.“

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Das nächste große Ding

So, das neue Jahr fängt also damit an, dass Blogger neue Leserubriken einführen.
Merlix zitiert (nicht erst neuerdings) unter Neu auf dem Nachttisch die Anfänge der angefangenen Bücher. Nicwest zeigt in der neuen Rubrik Perlen gotischer Baukunst etwas aus der Mitte. Percanta stellt Ausgelesenes zurück ins Regal, und Bov liest gar nicht erst.
Und weil ich ja eh jeden Scheiß mitmache, schlage ich jetzt den Bogen vom Ende zum Anfang und es gibt hier, wenn ich ein Buch ausgelesen habe, erst eine Kurzeinschätzung und dann den ersten Satz des Buchs, das ich danach anfange. Hugh.

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Gelesen

Remco Campert: Eine Liebe in Paris. Aus dem Niederländischen von Marianne Holberg.

Hätte nicht die Übersetzerin Marianne Holberg mir davon erzählt, und hätte sie es mir daraufhin nicht geschenkt, wäre dieses Büchlein völlig an mir vorbeigegangen. Das wäre auch kein Weltuntergang gewesen, aber es ist doch ein wirklich hübsches, kleines Buch.
Der sechzigjährige niederländische Schriftsteller Richard Sanders reist nach Paris, um dort die französische Übersetzung seines Buchs „L’art d’oublier“ vorzustellen. Vor seinem Hotel auf der Straße begegnet ihm eine Frau, die ihn erkennt und mit Namen anspricht, und an die er sich überhaupt nicht erinnert. Und so lässt er sich drei Tage und 150 Seiten lang durch Paris treiben und kramt in seinen Erinnerungen. Zum einen Erinnerungen an seine Zeit als junger Mann in Paris, zum anderen Erinnerungen an Antwerpen, in denen er irgendwo diese Frau zu finden hofft. Auf diese Weise erfahren wir Richards komplette Lebensgeschichte und nehmen an seiner Auseinandersetzung mit seiner Vergangenheit und dem Älterwerden teil. Die Schlusspointe ist auf den letzten zehn Seiten dann plötzlich absehbar und ein bisschen übertrieben, finde ich, aber das ist auch nicht schlimm. Immerhin ist sie so, dass dort eigentlich eine Geschichte anfängt, das Buch ist aber zu Ende. Das ist dann wieder schön, so was mag ich.
Was ich nicht so sehr mag, sind Bücher über Schriftsteller, über einen Lyriker in diesem Fall, der zwischendurch auch mal einen Roman schreibt. Der Autor dieses Buchs ist übrigens Lyriker und schreibt zwischendurch auch mal einen Roman. Da drängt sich mir immer ein bisschen der Verdacht der Fantasielosigkeit auf – andererseits, warum nicht, Schreiben ist nun mal das Thema, mit dem ein Schriftsteller sich auskennt. Und in diesem Buch ist es auch okay, es nervt nicht.

Außerordentlich charmiert hat mich Mariannes Erzählung über ihre Spontanreise nach Paris, während sie dieses Buch übersetzte. Sie ging die Wege ab, die ihr Protagonist geht, setzte sich in die gleichen Cafés und trank, ebenso wie er, mitten in der Nacht in einer Bar Rotwein und aß ein hartgekochtes Ei dazu. Marianne ist eine wirklich reizende ältere Dame, fast so alt wie meine Mutter. Meine Mutter würde im Leben nicht allein verreisen, schon gar nicht allein ins Kino und erst recht und überhaupt niemals nicht allein in eine Kneipe gehen. Und mitten in der Nacht läge sie im Bett und würde sich nicht aus lauter Übermut ein hartgekochtes Ei bestellen. Marianne tut das, stillvergnügt. Und dafür mag ich sie gleich noch ein bisschen mehr.

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Kommentare
Anderthalbfache Unterstützung!
Christl Klein, vor 12 Jahren
Hm, Tempers Kommentar ist ja
schon von 2008 - ich schätze eher nicht, dass...
isabo, vor 13 Jahren
Zettel's Ingo Maurer Hallo,
ich habe Ihren Beitrag zur Zettel's-Lampe gefunden. Da ich sie gerne...
Christiane Thomaßen, vor 13 Jahren
das ist ein hobby
von mir. antizyklisches kommentieren ;)
fabe, vor 13 Jahren
Das hier ist ja
schon eine Weile her. Hihi.
isabo, vor 13 Jahren
hier war ja neulich
stromausfall. menschen sind merkwürdig.
fabe, vor 13 Jahren
endlich endlich setzt jemand ein
Zeichen gegen das ständige Aussterben schöner Wörter! Da bin ich...
federfee, vor 13 Jahren
Lassen Sie doch vielleicht mal
Ihr Assoziationsmodul überprüfen, das spielt ja geradezu verrückt. Das...
isabo, vor 13 Jahren
Oh, vielen Dank!
isabo, vor 14 Jahren
grosses Lob Liebe Isabo,
bin ueber Meike auf Dich gestossen und finde Deine Texte ganz...
LvO, vor 14 Jahren
Der Verein lebe hoch, anderthalb
mal hoch Bin dabei.
Jolen, vor 14 Jahren
Da spricht mir wer aus
der Seele. Ich gebe mir auch schon seit Jahren...
Cuguron, vor 14 Jahren
Ha, wir haben auch nur
Fangen (hieß einfach "fanga") ohne so ein Hintertürchen gespielt....
Irene, vor 14 Jahren
Meiner hat mir nur von
dem Smiley auf seiner Krone erzählt. Und ob ich...
strandfynd, vor 14 Jahren
Bin gerade erst über das
Interview gestolpert - für mich als Auch-Japanisch-Übersetzerin doppelt und...
frenja, vor 14 Jahren
Beide haben Fahnenmasten, der linke
und der rechte Nachbar. Und beide haben die Deutschlandfahnen...
croco, vor 14 Jahren
das hier geht woanders
nicht besser, aber versuch macht kluch...
don papp, vor 14 Jahren
Ja. Ich habe aber erstens
Schimpfe bekommen für dieses wunderschöne, kühle, coole, elegante, heißgeliebte...
isabo, vor 14 Jahren
Sie wissen aber schon,
dass das hier schöner ausschaut?
leavesleft, vor 14 Jahren
Gute Entscheidung. Trennung in beruflich
und privat ist unpraktisch (für alle Beteiligten) und wenig...
textundblog, vor 14 Jahren
Jo. Dann.
isabo, vor 14 Jahren
Möchten Sie es wissen?
kinomu, vor 14 Jahren
alles gute und auf nach
drüben!
skizzenblog, vor 14 Jahren
ja ja ja!!! ES geht
es geht es geht!!! (aber halt ohne Editieren, wurscht!)...
g a g a, vor 14 Jahren
Ich GLAUBE, ich habe
das Captcha- Dings jetzt weggemacht. Kannst Du es nochmal veruschen?
isabo, vor 14 Jahren

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